Ein Waldrand auf Gemeindegebiet von Celerina. Gegen vorne eine abfallende, weitläufige Wiese. Gegen hinten Sträucher und lockerer Baumbestand. Hier kommt der Spurentunnel, ein rund eineinhalb Meter langer, knapp 20 Zentimeter hoher Holzkasten mit offenem Ein- und Ausgang zu stehen. Zwar gibt es in der Nähe einen Forstweg, dieser ist aber nur selten begangen und der Spurentunnel von dort nicht einsehbar. Eigentlich ein perfekter Standort. Eigentlich.

Zwei Wochen vorher. Zehn Interessierte haben sich auf den Aufruf «Wiesel gesucht!» im Rahmen des Projektes «Wilde Nachbarn Engiadina Val Müstair» gemeldet, und sind in La Punt Chamues-ch zu einem Informationsabend zusammengekommen. «Wir möchten zusammen mit der Bevölkerung Wissenschaft betreiben», begrüsst Anita Wyss, Geschäftsführerin beim WWF Glarus, die Anwesenden. Wiesel seien aufgrund der starken Landschaftsveränderungen unter Druck. Mit dem Projekt soll das Vorkommen von Hermelin, Mauswiesel und der Unterart Zwergmauswiesel erforscht werden. «Beim Melden von Beobachtun­gen oder beim Betreuen eines Spurentunnels können sie sich aktiv engagieren und mehr über diese Tiere erfahren», sagt Wyss. Die gesammelten Daten der Hobby-Forscherinnen- und Forscher fliessen in eine nationale Datenbank ein und bilden die Basis, um die Tiere gezielt zu fördern.

 

Gefährdete Wiesel

Dass dies nötig ist, erklärt Projekt­leiterin Sandra Gloor. Während Hermeline recht häufig vorkommen, sind die Mauswiesel viel seltener und stehen auf der roten Liste der gefährdeten Tierarten. Bei den Mauswieseln handelt es sich um die kleinsten Vertreter der Ordnung der Raubtiere. Es sind reine Fleischfresser, und sie ernähren sich hauptsächlich von Kleinsäugern. Selber werden sie Opfer von grösseren Raubtieren wie Füchsen oder Hermelinen, aber auch von Greifvögeln. Eine Unterart der Mauswiesel ist das – nomen est omen – wesentlich kleinere Zwergmauswiesel. Dieses wechselt im Gegensatz zum Feldwiesel in der kalten Jahreszeit auf ein weisses Winterkleid.

 

Wissenslücken schliessen

«Unser Ziel ist es, die Tiere sichtbar zu machen und Wissenslücken über ihre Verbreitung zu schliessen», sagt Sandra Gloor. Zurzeit gebe es in der Region nur sehr wenige Beobachtungsmeldungen von Hermelinen oder Wieseln. Das Projekt «Wilde Nachbarn Engiadina Val Müstair» wird getragen von der Fundaziun Pro Terra Engiadina, dem Regionalen Naturpark Biosfera Val Müstair, der UNESCO-Biosfera Engiadina Val Müstair und dem WWF Graubünden. Gestartet ist es in Zürich, mittlerweile gibt es rund 20 regionale Projekte.

Was aber haben die freiwilligen Wiesel-Forschenden konkret zu tun? Sie erhalten den eingangs des Textes erwähnten Spurentunnel. Im Innern wird das mit einer Farbe getränkte Spurenblatt auf dem Brettchen montiert. Schlüpft nun ein Tier in den Tunnel, hinterlässt es dort seine Spuren. «Wiesel sind sehr neugierig, sie schlüpfen überall rein», entgegnet Gloor vorgebrachten Bedenken, warum ein Tier freiwillig in diesen Holztunnel reingehen soll. «Wenn der Standort gut gewählt ist und dort Hermeline oder Wiesel vorkommen, werden sie früher oder später durch den Tunnel rennen.» Klar, werden oft auch Spuren von anderen Tieren gefunden, beispielsweise von Mäusen.

 

Einmal pro Woche kontrollieren

Entscheidend ist also der richtige Standort. Stellen entlang von Strukturen wie beispielsweise Hecken, Waldrändern, Krautsäumen und Gehölzen sind gut geeignet. Aber auch Ast- oder Steinhaufen. Der platzierte Spurentunnel wird einen Monat lang dort gelassen und einmal pro Woche kontrolliert. Sind Spuren vorhanden, wird das Spurenblatt ersetzt. Dieses wird anschliessend bei der Fundaziun Pro Terra Engiadina ausgewertet.

Zurück zum Spurentunnel beim Waldrand in der Nähe von Celerina. Die erste Auswertung nach einer Woche fällt ernüchternd aus. Kein einziges Tier hat sich in den Tunnel verirrt. Vermutlich nicht einmal eine Ameise. Aber schliesslich ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Und auch Forscher wird man nicht von heute auf morgen. Noch bleiben drei Wochen.

Weitere Infos: https://engiadina-val-muestair.wildenachbarn.ch/

Autor: Reto Stifel

Foto: André Röthlisberger /wildenachbarn.ch