Es war Mitte November an einem Samstagmorgen. Ich sass mit aufgeschlagener Zeitung und einem Espresso am Küchentisch, als ein noch reichlich verschlafener Teenager hinter mir auftauchte und verkündete: «Mama, ab diesem Jahr brauche ich keinen Adventskalender mehr.» Prompt verschluckte ich mich an meinem Kaffee. KEIN Adventskalender? Unvorstellbar. Adventskalender gehören in unserer Familie zum Dezember wie Chalandamarz zum März. Ich könnte auf «Last Christmas» im Radio, auf Lichterketten und auf Zimtsterne verzichten, aber niemals auf den Kalender. Man ist doch nie zu alt für einen Adventskalender?!


Diese kribbelnde Aufregung am 1. Dezember, als wir Kinder frühmorgens in die Stube schlichen, um das erste Säckchen am Adventskalender zu öffnen, gehört zu meinen frühesten Erinnerungen. Unser Adventskalender sah aus wie ein grosser Heissluftballon mit einem Jutesack, an dem die kleineren Filzsäckchen hingen: rote, blaue und violette. Gefüllt waren sie mit Kleinigkeiten: ein Schokokäfer, eine Marzipankartoffel, ein Sugus. Aber im Grunde war der Inhalt nicht so wichtig. Es ging um die Überraschung. Und es ging um die Liebe, die meine Mutter in diese Tradition steckte. 

Es versteht sich von selbst, dass auch meine Kinder jedes Jahr ihren Adventskalender bekommen haben. Und es war mir eine Freude, ihre Aufregung am 1. Dezember miterleben zu dürfen. Und nun will mein Grosser nicht mehr mitmachen. Na gut, so überrascht sollte ich nicht sein, immerhin wird er bald 16. Im Moment seiner Verkündung tröstete ich mich innerlich damit, dass seine Schwester wohl erst in zwei Jahren so weit sein würde. Mein Sohn schien meinen nostalgischen Schockzustand bemerkt zu haben, denn er grinste plötzlich und meinte gütig: «Na gut, dieses Jahr will ich vielleicht doch noch einen Adventskalender.» 

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