Ich war in der ersten Klasse, als ich zum ersten Mal den Weihnachtszauber verspürte. Es war am Schulweihnachtsfest in der Kirche von Scuol. Ein riesiger, geschmückter Baum mit brennenden Kerzen stand gleich neben der Kanzel, alle Kirchenbänke waren mit Kindern, Eltern, Grosseltern, Onkeln und Tanten besetzt. Die Darbietungen der Schülerinnen und Schüler waren schon vorbei, der Pfarrer hatte bereits die Geschichte der Geburt Jesu in Bethlehem aus der dicken, ledergebundenen Bibel erzählt, als die Kirchenorgel mit der Einleitung zu «Oh du Fröhliche» einsetzte. In einem kollektiven Atemzug setzte der Gesang ein: «Oh bainvgnü Nadal, di celestial». 

Die ganze Kirche sang, so schien es. Jung alt, religiös oder atheistisch, talentiert oder auch nicht. Eine Gänsehaut überzog meinen ganzen Körper. Ein nie da gewesenes Gefühl erfüllte mich - das Gefühl, zu einer grossen, mich tragenden Gemeinschaft zu gehören. In diesem Moment fühlte ich mich aufgehoben und war von den Stimmen, der Wärme der vielen Menschen im Raum, den leuchtenden Christbaumkugeln und Kerzen wie verzaubert. Viel zu schnell waren die drei Strophen des Weihnachtsliedes gesungen, viel zu schnell löste sich die Gemeinschaft wieder auf und alle eilten ins Freie, jeder und jede zu sich nach Hause. Fortan freute ich mich jedes Jahr auf die Schulweihnachtsfeier und als diese während Corona in den Wald verlegt wurde, war wohl niemand so enttäuscht darüber, wie die mittlerweile längst erwachsene Fadrina. Keine Frage, auch Waldweihnachten haben ihren Reiz, doch der Gesang wurde vom Schnee verschluckt und verklang irgendwo zwischen all den Bäumen. Der hübsch, aber schlicht geschmückte Baum sorgte auch nicht für vor Staunen offene Münder bei den kleinen Kindern. 

Weihnachten bedeutet für mich genau dieses, als Erstklässlerin erstmals erlebte Gefühl der Verbundenheit, zu spüren, Teil einer Gemeinschaft zu sein, getragen zu werden, geborgen zu sein.

f.hofmann@engadinerpost.ch