Von Tönen war sie bereits vor ihrer Geburt umgeben. «Meine Mutter trat als Solistin in Chören auf, auch während sie mich in ihrem Bauch trug. Inzwischen ist sie über achtzig Jahre alt und singt noch immer», sagt die aus Fribourg stammende Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis. «Die Musik habe ich für mich entdeckt, bevor ich zu sprechen begann. Singen ist mein Leben, eine Berufung. Wenn ich einmal nicht auf der Bühne stehe, fühle ich mich wie ein Fisch auf dem Trockenen.»

Nach einem Gesangsstudium am Konservatorium ihrer Heimatstadt und am Mozarteum in Salzburg wurde die heute 51-jährige Chappuis zunächst Ensemble-Mitglied des Tiroler Landestheaters in Innsbruck. Intendantin war damals Brigitte Fassbaender, die als Mezzosopranistin Weltruhm erlangt hatte. «Sie ist mein grosses Vorbild, ihre absolute Hingabe an die Kunst inspiriert mich. Dieser Beruf verlangt von einem nicht nur viel, sondern alles – das hat sie mir einmal gesagt.»

Liedgesang im Herzen
Seit über zwanzig Jahren gastiert Marie-Claude Chappuis freischaffend an bekannten internationalen Bühnen und Festivals, darunter bei den Salzburger Festspielen, an den Opernhäusern in Zürich und Genf, der Berliner Staatsoper Unter den Linden, der Mailänder Scala und dem Opernhaus La Monnaie in Brüssel. Ein Meilenstein in ihrer Karriere war Mozarts Oper «Idomeneo» in Graz und Zürich unter Leitung des legendären Dirigenten Nikolaus Harnoncourt. «Wir Sänger wurden von ihm immer respektiert und getragen. Er hatte künstlerische Visionen und war als Mensch stets auf der Suche nach der Wahrheit. Das ist enorm wichtig in einer Welt, in der so viel gelogen wird.»

Neben Opernrollen und grossen Konzertauftritten liegt Chappuis auch der Liedgesang am Herzen. 2001 gründete sie in Fribourg gemeinsam mit ihrer Mutter Thérèse das Festival du Lied, Brigitte Fassbaender ist Patin. «An Künstlern fasziniert mich vor allem die Persönlichkeit. Das ist das wichtigste Kriterium, wenn ich Sängerinnen und Sänger zu mir einlade.» Besondere Kreativität bewies sie im Pandemiesommer 2020, als viele Veranstaltungen abgesagt werden mussten. Auf dem Parkplatz der Bergbahn im Dorf Charmey veranstaltete Chappuis ein Drive-in-Festival, das sogar in den USA für Aufsehen sorgte. Die Besucher simulierten lautstarken Beifall in Form von Hupkonzerten.

Komponistinnen im Fokus
Vor der imposanten Alpenkulisse trat auch die Cellistin Maja Weber mit ihrem Stradivari Quartett auf. «Ich wusste da bereits vom Stradivari-Fest und sagte ihr, dass ich Sils Maria sehr liebe», gesteht Chappuis. «Ich verspüre eine ewige Sehnsucht nach diesem Ort, wo sich die Seele so gut erholen kann. Dass ich nun dabei sein kann, freut mich sehr.» Am Stradivari-Fest in Sils sind in diesem Jahr ausschliesslich Werke von Komponistinnen zu hören. Im Hotel Waldhaus trägt Chappuis Lieder von Fanny Hensel, Clara Schumann und Alma Mahler vor. «Diese Frauen waren geniale Künstlerinnen, die grossartige Werke geschrieben haben. Leider haben sie nicht immer die Aufmerksamkeit gefunden, die sie eigentlich verdient hätten. Ich wünsche mir, dass es selbstverständlich wird, diese schönen Stücke überall aufzuführen.» 

Chappuis verspricht interessante Entdeckungen, etwa frühe Lieder Hensels in französischer Sprache wie «Chanson des Bergères oder «L’amitié», die nicht allen bekannt sein dürften. Begleitet wird sie von Maja Weber, der Geigerin Maya Kadosh und der Pianistin Andrea Wiesli, die in der Offenen Kirche in Sils auch Klaviertrios von Schumann und Hensel spielen. Bei den beiden Konzerten im Waldhaus erklingen in unterschiedlicher Besetzung unter anderem noch Stücke von Nadia Boulanger und Mélanie Bonis.

Sie sei sehr dankbar, nach der Pandemie wieder live auftreten und die Nähe des Publikums spüren zu dürfen, sagt Chappuis. «Gemeinsam können wir einzigartige Momente erleben, die nicht wiederholbar sind. Als Künstlerin lebe ich dafür, durch meine Interpre­tationen die Werke von Komponisten zu neuem Leben zu erwecken und die Zuhörer damit zu berühren.» 

Autorin: Corina Kolbe, Foto: Michel Canonica