Engadiner Post: Anne-Marie Flammersfeld: Seit vielen Jahren ist der Engadiner Sommerlauf eine Erfolgsgeschichte. 2019, bei der 40. Austragung, wurde mit fast 2500 Aktiven ein Teilnehmerrekord verzeichnet. Und nun ein radikaler Kurswechsel. Warum?

Anne-Marie Flammersfeld: Wer stehenbleibt, der entwickelt sich nicht weiter. Dieses Motto hat uns intern bewogen, etwas Neues zu machen und verschiedene Bereiche zu kombinieren: Sport, Kultur und Lifestyle. In St. Moritz haben wir dafür die ideale Plattform gefunden. 

Neue Strecken, ein zusätzliches Rennen, ein neuer Name und ein neues Logo. Warum alles auf einmal?

Die Strecken sind ja nicht wirklich neu, einzig der Zielort ist nicht mehr in Samedan, sondern in St. Moritz. Im Vorstand sind wir zum Schluss gekommen, dass, wenn wir etwas verändern, dann umfassend: Eine Dachmarke gibt uns die Möglichkeit, alles das, was wir anbieten, unter einem Namen zusam-menzufassen. Unter den Begriff «Running» fallen alle Kategorien wie zum Beispiel der 25 Kilometer lange Engadiner Sommerlauf, der weiterhin so Bestand hat. Mit «Festival» lassen sich alle Programmpunkte von Yoga, Konzert und Podiumsdiskussion gut und schlüssig verkaufen.

Eine solche Transformation muss gesamthaft stimmig sein. Jedes Jahr ein paar kleine Anpassungen zu machen, verwirrt mehr. Als Beispiel nenne ich den Swiss Alpine Marathon in Davos. Da wurden praktisch jedes Jahr der Name und die Strecken geändert, und am Schluss wusste man gar nicht mehr, wofür der Anlass steht. 

Ohne das Kids Race bieten sich für die Sportlerinnen und Sportler über drei Tage insgesamt vier Startmöglichkeiten. Ist das nicht zuviel des Guten?

Es ist ja nicht so, dass wir nun etwas komplett anderes als die Jahre zuvor organisieren würden, Kernkompetenz bleibt der Laufsport. Wir vom Organisationskomitee und Vorstand können auf sehr weit zurückreichende Erfah-rungen zurückgreifen. Das Trailrunning haben wir dazu genommen, um eine Trendsportart zu bedienen. Das ist organisatorisch ein grosser Aufwand, aber die Strecken sind toll, und ich bin überzeugt, dass sich Crossing Engiadina etablieren kann. 

Will der Sportler diese Kombination mit Kultur und Lifestyle überhaupt? Der ist doch primär an einer guten sportlichen Leistung interessiert?

Vielleicht ist es so. Vielleicht aber treffen wir auch den Zeitgeist. Wir wissen es ehrlich gesagt auch noch nicht. Persönlich bin ich zwar eine leidenschaftliche Läuferin, ich kann aber auch sehr gut Party machen und feiern. Wenn ich einen Lauf hinter mich bringe, ist es immer ein Highlight, mich mit Freunden zu treffen, zusammenzusitzen und etwas zu trinken. So kann eine sportliche Veranstaltung prima ausklingen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass diese Kombination Anklang findet. 

Mit dem Engadiner Sommerlauf wurde die ganze Region miteingebunden, die Gemeinden haben jeweils für ein Jahr das Patronat übernommen. Nun nennt sich der Anlass St. Moritz Running Festival. Eine Veranstaltung mehr, im sonst schon reich befrachteten St. Moritz Veranstaltungskalender.

Zuerst: Den Engadiner Sommerlauf gibt es immer noch und es wird ihn weiterhin geben. Das St. Moritz Running Festival ist die Dachmarke und der Engadiner Sommerlauf von Sils nach St. Moritz über 25 Kilometer ist neben dem Muragl-Lauf, dem Free Fall Vertical, dem Kids Race und neu dem Crossing Engiadina eines von insgesamt fünf Rennen unter dieser Dachmarke. Wir bespielen das Oberengadin – mit Sils, Pontresina, St. Moritz und Samedan haben wir vier Startorte. Somit ist es immer noch ein Anlass, der die gesamte Region betrifft. Das zeigt sich auch in den Logiernächten. Die Teilnehmenden verteilen sich auf diese vier Orte.

Klar kann man sich fragen, ob es einen zusätzlichen Anlass für St. Moritz braucht. Persönlich bin ich der Meinung, dass St. Moritz der Leuchtturm des gesamten Engadins ist, ich stelle das auch immer wieder fest, wenn ich im Ausland unterwegs bin. St. Moritz kennen alle. Diese Strahlkraft wollen wir für den Lauf und für das ganze Tal nützen. Der Name ist Programm. Das sieht man jetzt auch beim Swissalpine Marathon, welcher sich ab nächstem Jahr Davos X-Trails nennt. 

Geht es auch um Geld? Der Samedner Gemeindepräsident zeigte sich in einer Stellungnahme gegenüber dieser Zeitung enttäuscht über den Zielwechsel und hat gesagt, Samedan wäre bereit gewesen, noch mehr finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. 

Da muss ich eines klarstellen: Die Entscheide sind vor der Amtszeit des neuen Samedner Gemeindepräsidenten und seines Vorstandes gefällt worden. Wir wollten mit Samedan eine Läuferwoche machen. Zuerst den Sommerlauf, das heisst, eine Woche Programm mit Podiumsdiskussionen, Spitzenathleten, Musik und Lifestyle – ob in Samedan oder in St. Moritz war noch offen – und am darauffolgenden Wochenende den Traillauf, welcher sich jetzt Engadin Ultratrail nennt. Samedan wollte das nicht und hat uns gebeten, von unserer Idee Abstand zu nehmen. Sie sicherten uns zwar weiterhin finanzielle Unterstützung für den Sommerlauf zu, distanzierten sich aber vom Projekt des Running Festivals. Wir beziehen Samedan weiterhin als Startort für den zweiten Tag des Crossing Engiadina ein und werden in Zukunft schauen, wie wir noch mehr Orte für das Running Festival gewinnen können. Vielleicht gibt es ja auch bald eine Fusion aller Laufveranstaltungen unter einer grossen Dachmarke! 

Trotzdem haben Sie an der Idee des St. Moritz Running Festivals festgehalten?

Ja, wir haben uns einfach anders orientiert. Wenn ich auf den Anfang des Gesprächs zurückkomme: Wer stehenbleibt, der entwickelt sich nicht weiter. Und wir wollen uns weiterentwickeln. Gerade in der Laufsportszene muss man sich abheben können, wenn man am Wochenende zwischen 20 und 30 Veranstaltungen auswählen kann. Wenn Interessierte sehen, dass es neben dem Lauf ein tolles Zusatzangebot gibt, könnte es sein, dass wir dadurch noch mehr Teilnehmer ins Tal locken und diese dank dem attraktiven Rahmenangebot auch länger bleiben. Was letztlich wiederum mehr Übernach-tungen generiert und somit im Interesse aller ist. 

Bis Mittwochmorgen waren 1307 Läuferinnen und Läufer für alle Rennen angemeldet. Sind Sie zufrieden?

In diesem Jahr steht für mich die Teilnehmerzahl nicht im Vordergrund. Ich bin sehr glücklich, wenn 1400 Sportlerinnen und Sportler an den Start gehen. Wir sind immer noch in der Corona-Pandemie und dürfen ganz einfach froh sein, dass wir die Veranstaltung überhaupt in diesem Rahmen durchführen können. Primäres Ziel ist, dass alle gesund und glücklich aus der Veranstaltung rausgehen und einen Riesenspass hatten ...

... der Event finanziert sich aber hauptsächlich über die Startgelder?

Das ist so. Das ist unsere wichtigste Einnahmequelle, und wenn diese wegbleibt, müssen wir schauen, wie wir das Defizit finanzieren. Aber noch einmal: Wir sind in einer Pandemie und hoffen, dass die Situation nächstes Jahr schon wieder ganz anders ist. Dann werden auch die Teilnehmerzahlen wieder steigen, davon bin angesichts des ungebrochenen Laufbooms überzeugt. 

Wie immer beim Sommerlauf verspricht das Wetter am Wochenende viel Sonnenschein. Neben dem Wetter: Was wünschen Sie sich?

Ich werde glücklich sein, wenn ich im Ziel in strahlende Gesichter schauen kann und die Leute verstehen, dass wir uns zwar verändert haben, aber immer mit dem Fokus, dass der Anlass erfolgreich in die Zukunft geführt werden kann. Sicher wird es auch Teilnehmer geben, die die Veränderungen kritisch beurteilen und sich wünschen, dass alles so bleibt wie früher. Da sage ich: Jeder Moment ist nicht mehr so wie früher, aber es steht uns zu, die Dinge zu verändern. Weil wir Spass daran haben und den ganzen Anlass weiterbringen wollen.

Anne-Marie Flammersfeld ist OK-Präsidentin des St. Moritz Running Festivals. Die Diplom-Sportwissenschaftlerin und Ultraläuferin arbeitet mit ihrem eigenen Unternehmen «all mountain fitness» in St. Moritz als Personal Coach.

Autor: Reto Stifel

Foto: Daniel Zaugg

Das St. Moritz Running Festival ist mehr als ein Sportanlass

Am kommenden Wochenende findet die 42. Austragung des Engadiner Sommerlaufs statt. Dieser wird neu unter der Dachmarke St. Moritz Running Festival durchgeführt und dauert vom kommenden Freitag bis Sonntag. Neu im Programm ist der Traillauf Crossing Engiadina, welcher in drei Etappen über gut 70 Kilometer durch das Oberengadin führt. Wie gehabt, wird am Samstag das Rennen Free Fall Vertical mit Start um 10.30 Uhr bei der Eisarena Ludains durchgeführt. Das Ziel befindet sich gut 1000 Meter höher, und zwar bei der Startplattform der Herren-WM-Abfahrt. Ebenfalls am Samstag findet auf dem Festivalgelände Ludains ab 14.00 Uhr das Kids Race statt. Am Sonntag um 10.15 Uhr startet in Sils der Engadiner Sommerlauf über 25,5 Kilometer mit dem neuen Ziel Ludains. Bereits um 10.00 Uhr gehen die Läuferinnen und Läufer des zwölf Kilometer langen Murgals-Lauf auf die Strecke. Start ist wie bisher in Pontresina, Ziel neu in St. Moritz Ludains. 

Was aber dürfen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom neuen Zielort auf dem Ludains-Gelände in St. Moritz Neues erwarten? «Der neue Zielort ist die wirklich grosse Veränderung. Unser Motto lautet: Nach dem Lauf beginnt das Festival», sagt dazu OK-Präsidentin Anne-Marie Flammersfeld. Es gibt verschiedene Food-Angebote mit stark regionalem Bezug und weg vom klassischen Angebot mit Wurst vom Grill und Pasta. Am Samstag findet um 17.00 Uhr eine Podiumsdiskussion mit verschiedenen Ausdauersport-Athleten zum Thema «Was ist der perfekte Laufstil»?, statt. Am Abend um 18.30 Uhr gibt es Yoga-Unterricht für alle, gefolgt von einem kleinen Konzert. «Ein Programm klein, aber fein – für alle Teilnehmen-den, aber auch für alle Besucherinnen und Besucher, die spontan vorbeikommen wollen», sagt Flammersfeld. 

Damit ein spontaner Besuch möglich ist, wird vor Ort ein mobiles Testzentrum betrieben. Das St. Moritz Running Festival wird nach dem 3-G-Prinzip durchgeführt. Wer auf das Festivalgelände möchte, muss entweder geimpft, genesen oder getestet sein und über ein entsprechendes Covid-Zertifikat verfügen. Nachmeldungen sind jeweils bis 30 Minuten vor dem Start vor Ort möglich, bereits geschlossen ist das Anmeldefenster für den Traillauf Crossing Engiadina. (rs)

Sämtliche Infos zum St. Moritz Running Festival gibt es unter www.stmoritzrunningfestival.ch