Engadiner Post: Ursula Oehy Bubel, am vergangenen Wochenende haben die ersten Absolventen der HFT in Samedan ein besonderes Jubiläum gefeiert. Wie hat eigentlich alles angefangen?
Ursula Oehy Bubel: Bei der Gründung der Tourismusfachschule hat man den Zeitgeist getroffen, es bestand eine grosse Nachfrage nach Fachkräften, schweizweit und insbesondere auch in Graubünden. Entstanden ist sie aus der damaligen Evangelischen Mittelschule ELAS. Mit der Mittel- und Tourismusfachschule Samedan hat man einen Schritt nach vorne gewagt. Thomas Bieger gründete als Rektor zuerst die Tourismusfachschule Luzern und danach unsere. Dass das Konzept funktionierte, sah man an den Anmeldezahlen. Gestartet wurde 1992 mit zwei Klassen, zeitweise waren es bis zu drei Parallelklassen in den Jahren darauf.
Wie hat sich das Interesse über die Jahre entwickelt?
Es gab verschiedene Wellen. Als die Schule eröffnet wurde, gab es sofort eine hohe Nachfrage. Tourismusmanagement konnte man nämlich vorher in der Schweiz nur mit einer gymnasialen Maturität als Vertiefungsrichtung an einer Universität studieren. Diese hohe Eintrittsschwelle verunmöglichte vielen den Zugang. An eine HFT konnte man nun auch nach einer abgeschlossenen Berufslehre, einer Eintrittsprüfung und einem Jahr Berufserfahrung eintreten. Die Studierendenzahlen sind somit rasch angestiegen. Ein erster Einbruch kam nach der Bologna-Reform in den 2000er-Jahren. Während zu Anfangszeiten das heutige Institut für Tourismus und Freizeit der Fachhochschule Graubünden noch an der Academia Engiadina beheimatet war, wurde es in der Folge nach Chur verlegt. Dies und die Einführung eines Bachelor-Lehrgangs Tourismus in Chur haben kurzzeitig zu niedrigeren Anmeldezahlen bei uns geführt. Ganz generell kann man auch sagen, dass die Konjunktur einen grossen Einfluss hat. Die Klassenzimmer füllten sich immer in Zeiten der Rezession.
Ist der Bachelor eine Konkurrenz für Ihr Angebot?
Ja, das war und ist so. Meine Vorgänger haben nach der Reform sofort begonnen, Bachelor-Anschlüsse mit Hochschulen zu vereinbaren, das ging anfangs mit solchen im Ausland – bei uns war es die niederländische Hochschule Leeuwarden – bedeutend einfacher. 2009 entstand dann der Campus Tourismus Graubünden – eine vom Amt für Höhere Berufsbildung begleitete Zusammenarbeit der heutigen EHL/SSTH in Passugg, der FH Graubünden in Chur und uns. Seither kann man dank einer Passerelle, die noch während der drei Jahre HFT-Studium stattfindet, in nur einem Zusatzjahr den Bachelor-Abschluss an der FH Graubünden machen. Diese innerkantonale Zusammenarbeit ist bis heute sehr innovativ. Bis heute ist das ein Erfolgsmodell für Studierende: Jeweils ca. zehn bis fünfzehn von ihnen absolvieren nach der Zeit bei uns noch den Bachelor – und das ohne Matura.
Die Ausbildung in Samedan dauert drei Jahre. Hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten etwas am Ausbildungsmodell verändert?
Wir führen nach wir vor das klassische Praktikumsmodell: ein Jahr Schule, ein Jahr Praktikum, ein Jahr Schule. Nach und nach kamen die Vertiefungsrichtungen Marketing, Public Relations und Event Management dazu. Marketing und PR führen zu einer eidgenössischen Berufsprüfung und Event Management zu einem verkürzten CAS-Lehrgang. Diese Anschlussfähigkeiten zu gewährleisten, war uns immer wichtig. Zeitweise wurde der Lehrgang teilweise in Englisch angeboten. 2014 startete dann der erste Lehrgang im Saisonmodell, inhaltlich dasselbe Angebot, aber anders rhythmisiert. Die Studierenden arbeiten in der touristischen Hauptsaison und studieren im Herbst und Frühling in Samedan. Die Praxisnähe wurde in den letzten Jahren massgeblich erhöht, wir bearbeiten ca. 70–80 Aufträge von Organisationen pro Schuljahr. Dies alles sind Alleinstellungsmerkmale unserer Schule, nebst unserem Campus im Engadin.
Welche Herausforderungen stellen sich für eine Tourismusfachschule im Engadin?
Wir sind zwar im Herzen des Tourismus, aber auch peripher gelegen. Die Studierenden müssen ins Engadin ziehen, Familie und Kollegen zurücklassen. Das verlangt einen höheren Aufwand und mehr Eigenverantwortung. Dies wollen nicht alle auf sich nehmen. Aber die, die es machen, überzeugen oft mit einer selbständigen und engagierten Arbeitsweise. Dies wird mir oft auch von Arbeitgebenden und Dozierenden bestätigt. Für uns bedeutet die Lage einen erhöhten Marketing- und Kommunikationsaufwand, um im Unterland auf uns aufmerksam zu machen. Aber es freut mich, dass etliche Studierende aus anderen Kantonen dadurch so den Weg in den Bündner Arbeitsmarkt finden und auch nach dem Studium bleiben.
Sie haben selbst ebenfalls an der HFT studiert, sind jetzt Dozentin und Rektorin. Diese Schule scheint es Ihnen wirklich angetan zu haben?
(Lacht) Ich bin schon irgendwie mit der HFT verwachsen. Ich hatte hier einige meiner besten Studienzeiten. Im Engadin kann man sich wirklich auf die Ausbildung, die Erholung in der Freizeit und das Zusammensein mit Kolleginnen und Kollegen konzentrieren. In den Städten hat es mehr Ablenkungsmöglichkeiten, die einen als jungen Menschen überfordern können. Ich habe es sehr genossen, im Engadin studieren zu dürfen.
Wenn Sie zurückblicken, was hat sich geändert an der HFT?
Die Studierenden sind heute jünger, wenn sie bei uns beginnen. Früher war der Altersschnitt bei Mitte 20. Viele haben nach der Lehre oder dem Gymnasium ein paar Jahre gearbeitet, waren vielleicht im Ausland, bevor sie das Studium begannen. Damals war man auch gesetzlich verpflichtet, vor der HFT ein Zwischenjahr zu absolvieren. Somit hatten die Studierenden bereits mehr Lebenserfahrung. Das obligatorische Zwischenjahr wurde mittlerweile gestrichen, heute kann man direkt nach der Lehre oder der Berufsmatura studieren.
Was sicher auch viel verändert hat, ist die Digitalisierung?
Ja. Der erste Jahrgang verbrauchte deutlich mehr Papier, als wir das heute tun. Mein erster Laptop fürs Studium kostete 1998 stolze 3500 Franken. Edo Kobelt war damals Rektor, und er war so weitsichtig, dass er bereits LAN-Kabel in die Stromschienen hat verlegen lassen. Das Einloggen ging jedoch sehr, sehr langsam (lacht). Heute gibt es bis auf wenige Ausnahmen ausschliesslich digitale Lernunterlagen. Und nun setzen wir uns intensiv mit künstlicher Intelligenz auseinander. Die Bildungs- und Arbeitswelt wird nochmals revolutioniert.
Neben KI, welche Themen werden die HFT in den nächsten Jahren besonders beschäftigen?
Wir haben festgestellt, dass das Image der Berufe im Tourismus in den letzten Jahren gelitten hat. Manche Eltern sind kritischer gegenüber einem Tourismusstudium, wie sie es vor Corona waren. Es herrscht insbesondere auch eine falsche Vorstellung davon, was die Tätigkeiten nach dem Studium angeht. Viele denken nur an Stellen an der Hotelrezeption, im Reisebüro oder in der Tourist Info. Das sind aber nicht primär die Bereiche, in denen unsere Studierenden später arbeiten.
Was kann man gegen diese Wahrnehmung des Berufsbildes machen?
Wir engagieren uns aktiv in einem Innotour-Projekt, das sich «Future in Tourism» nennt. Alle Tourismusfachschulen in der Schweiz haben sich mit den Verbänden und über 40 Unternehmen zusammengeschlossen. Während der nächsten Jahre werden verschiedene Aufklärungsmassnahmen und Kommunikationsinitiativen umgesetzt. Ziel ist es, das Interesse für eine Tourismusausbildung zu erhöhen und auch mehr Absolvierende in der Branche zu halten. Beschäftigen wird uns auch die nächste Lehrplan-Revision, welche auf nationaler Ebene in den nächsten zwei Jahren ansteht. Nachhaltigkeitsthemen im Tourismus und die Digitalisierung bleiben weitere prägende Themen. Es wird auch darum gehen, wie Arbeitgeber die Arbeitsplätze attraktiver gestalten können.
Gibt es in 30 Jahren die HFT noch?
Aber ja. Solange Tourismus im Kanton diese Bedeutung geniesst, braucht es gut ausgebildete Fachkräfte. Zusätzliche Kooperationen oder Wechsel in der Führung der Schule wird es bestimmt geben, aber diese Ausbildung und das Berufsbild werden weiterhin bestehen. Und ich bin überzeugt, dass sich das Engadin für die Ausbildung hervorragend eignet.
Ursula Oehy Bubel ist Rektorin der Höheren Fachschule für Tourismus & Marketing an der Academia Engiadina in Samedan, Mitglied der Geschäftsleitung der Academia Engiadina und Dozentin.




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