Fast schon kitschig sieht das türkisfarbene Wasser des Silvaplanersees an diesem frühen Nachmittag aus. Es herrscht reger Verkehr auf dem See: Kite-, Wind- und Wing-Surferinnen und -surfer nutzen den kräftigen Malojawind, um über den See zu flitzen. Bisweilen sieht es fast so aus, als würden die Wassersportler fliegen. Auch am Ufer herrscht reges Treiben. Die Athletinnen und Athleten, die an den Wettkämpfen des Vanora Engadinwind 2025 teilnehmen, bereiten sich auf die ersten Läufe vor. 

Im Event Village hat sich Organisator Christian Müller in seinem temporären Büro eingerichtet. Soeben wurden die Coaches und Teilnehmenden über Wetterlage, Programm und Regeln dieser IQ Foil International Games informiert. Sechs Tage dauert der Weltcup, umrahmt von Side Events wie dem Konzert am Freitag auf der Hauptbühne und der legendären Engadinwind Party im Village in Mulets. 

Am Mittag kommt der Malojawind
Der Engadinwind wird bereits seit drei Jahrzehnten in Silvaplana organisiert. Jedes Jahr reisen Weltklasseathleten und Nachwuchstalente ins Engadin, um am Weltcup teilzunehmen. Während knapp einer Woche werden auf dem See verschiedene Rennen durchgeführt: Slalom und Kursrennen, wo es darum geht, wer den Kurs am schnellsten absolviert.

Ende der Woche werden die Resultate zusammengezählt. Wer am wenigsten Punkte hat, gewinnt. Das Finale findet jeweils am Sonntag statt. Die Rennen werden parallel zum normalen Sportbetrieb durchgeführt. Die Rennstrecke wird allerdings den Hobbywassersportlern kommuniziert, und Christian Müller sorgt im Rettungsboot der Gemeinde Silvaplana höchstpersönlich dafür, dass unachtsame Surfer den Athletinnen und Athleten nicht in die Quere kommen.

Der Malojawind ist kein herkömmlicher Wind, sondern ein thermisches Windsystem. «Pünktlich am Mittag kommt der Malojawind vom Bergell hoch», so Christian Müller. Darum herrschen im Sommer die besten Bedingungen fürs Windsurfing. Für die ersten beiden Renntage vom Engadinwind sind die Wetterprognosen sehr gut. Am Donnerstag und Freitag könnte es regnen, aber am Wochenende sollte der Malojawind wieder kräftig wehen. 

Möglichst viel Erfahrung sammeln
Mit den IQ Foil Games veranstalten Christian Müller und sein Team Rennen der olympischen Klasse. Alle vier Jahre finden die Olympischen Spiele statt, in den Zyklen dazwischen versuchen sich die Fahrerinnen und Fahrer in den Regatten zu qualifizieren. Die Highlights sind die Europameister­schaften und die Weltmeisterschaften. Dieses Jahr findet nur der Weltcup statt. «Aber es ist die grösste internationale Tour, die es gibt», betont Christian Müller. 

Die Nationalteams starten in zwei Kategorien: U19 und Seniors. Herren und Damen sind getrennt. Die jüngsten Teilnehmenden sind 13 Jahre alt. «Auf den Regatten wollen die jungen Athleten möglichst viel Erfahrung sammeln», erklärt Christian Müller. Auf dem Silvaplanersee starten die U19 und Seniors gemeinsam. «Vor allem in der Schweiz ist U19 eine starke Klasse», informiert der Organisator. Die Schweizer haben im Engadin Heimvorteil, weswegen er auch gute Resultate erwartet.

Starke junge Schweizer Athleten
Der Neuenburger Noam Kobelt ist einer der Favoriten, er ist Vize-Europa­meister. Auch von Robin Zeley wird erwartet, dass er ganz vorne mit dabei sein wird. Kurz vor dem ersten Lauf wirken er und sein Teamkollege Nino Livio Lofterød noch ganz entspannt. Das Equipment steht bereit, die Sonne scheint, der Wind ist da. Es fehlt nur noch der offizielle Sticker von Sponsor Silvaplana auf dem Segel. Eine Woche vor Rennbeginn sind der 17-jährige Robin Zeley und sein Team angereist, um auf dem Silser- und Silvaplanersee zu trainieren. «Das Spezielle hier ist die Höhe, und die Berglandschaft ist sehr schön», meint er. Alles geben und nicht zu sehr an die Rangierung denken, das hat er sich für diese Woche vorgenommen. Der 18-jährige Nino Livio Lofterød trainiert wie Robin Zeley in Sisikon am Urnersee. «Der Silvaplanersee ist enger, wir müssen also die ganze Zeit Manöver machen», erzählt er. Sein Ziel sei, sich persönlich zu verbessern, Spass zu haben und eine möglichst gute Performance zu liefern. 

Auch Chloé Huguenin ist bereit für den Wettkampf. Sie kennt den Silvaplanersee gut. «Die Herausforderung hier ist, einen guten Startpunkt zu finden», sagt die junge Frau aus Neuchâtel. Die richtige Seeseite zu wählen, um vorne mitfahren zu können, das sei die grosse Herausforderung hier. Das Startfeld ist bei den Damen mit zehn Teilnehmerinnen wesentlich kleiner als bei den Herren. Chloé Huguenin freut sich auf ein schnelles Rennen. «Ich mag es, über das Wasser zu fliegen», meint sie. 

In Silvaplana ist Taktik gefragt
Ein noch junges Team trainiert Robert Hofmann. Er ist Coach der österreichischen Nationalmannschaft, die erst seit zwei Jahren existiert. Robert Hofmann war einst selbst Spitzenathlet und hat an zahlreichen Regatten teilgenommen. Silvaplana und den berühmten Malojawind kennt er gut. «Für uns ist Engadinwind sehr wichtig, weil es eine sehr gute Vorbereitungsregatta für die Europameisterschaft in Sardinien ist», erklärt er. Sein Team trainiert viel am Gardasee. In Silvaplana sind die Bedingungen rauer, der Wind dreht häufig. «Aber das ist gut, denn so können die Athleten Taktik üben», meint der Coach. Seine Hoffnungen setzt er in Georg Böckel, der bei der Junioren-Weltmeisterschaft in Brest (Frankreich) die Goldflotte geschafft hat. 

Beste Werbung für das Engadin
Inzwischen steht Christian Müller hinter dem Steuer des Rettungsbootes der Gemeinde Silvaplana. Gemeinsam mit eine spanischen Fotografen und der lokalen Journalistin fährt er hinaus auf den See. Die Bojen, welche für den Kurs gesetzt sind, kann er nach Bedarf via Smartphone versetzen. Sie sind mit GPS versehen. Die Athletinnen und Athleten tragen Sender, somit kann ihre Route nachverfolgt werden. Auf einem weiteren Boot befinden sich die Mitglieder vom Race Management. Sie geben das Startsignal.

Engadinwind ist für Zuschauerinnen und Zuschauer sehr attraktiv, an anderen Orten finden die Regatten draussen im Meer statt, hier hingegen kann man vom Ufer aus zusehen - und erst noch mit einer spektakulären Kulisse. Die Berglandschaft beeindruckt auch die Athletinnen und Athleten, weiss Christian Müller. «Sie lieben die Engadiner Landschaft und sind sehr gerne hier.» Davon zeugen auch die unzähligen Posts in den sozialen Medien - beste Werbung für Silvaplana und das Engadin.

Ein gelungener Auftakt
Zu gewinnen gibt es am Vanora Engadinwind 2025 nebst Ruhm, Ehre und Pokale auch Preisgelder für die Seniors. Sponsoren für diesen Anlass zu finden, ist kein Problem, wie Christian Müller versichert: «Wenn man ein Top-Event hat, findet man nach wie vor Sponsoren und Partner.» Die Rennen auf dem Silvaplanersee hätten sich heute in der Windsurfszene etabliert. Nächste Woche finden die Windsurfing Schweizermeisterschaften statt und am 30. und 31. August ist der 48. Engadin Kite-, Wing- und Surfmarathon. «Es ist die weltweit älteste, immer noch existierende Windsurf-Regatta auf der Welt», sagt Christian Müller stolz. Er freut sich bereits auf das 50-Jahr-Jubiläum vom Marathon im Jahr 2027.

Dann ist es so weit: Pünktlich um 13.30 Uhr versammeln sich alle Athleten mit ihren rot-weissen Segeln am Startpunkt auf dem See. Ein Kursrennen bildet den Auftakt des Weltcups. Sobald das Hornsignal zu hören ist, legen die Teilnehmer in Richtung Sils los - über türkisblaues Wasser, den Piz da la Margna vor Augen, den Malojawind im Gesicht.

Weitere Informationen und alle Resultate: www.engadinwind.com