Ein früher Novembernachmittag in Guarda. Die Sonne scheint, auf der Dorfstrasse schlendert ein Touristenpaar und macht begeistert Fotos von den Engadiner Häusern. Vor der Ustaria Crusch Alba sitzt ein weiteres Paar und studiert die Menükarte. Im Innern des Lokals ist überraschenderweise fast jeder Tisch besetzt. Immerhin ist Zwischensaison. Mit einem breiten Lächeln empfängt die Gastgeberin Sophie Badel, die zu einem Interview gebeten wurde. In einer Ecke sind noch zwei Plätze frei. Söhnchen Merlin klettert sofort auf den Schoss der Mutter.
In Basel hängen geblieben
Seit viereinhalb Jahren leben Sophie Badel und ihr Mann Felix mit dem gemeinsamen Sohn in Guarda. In diesem kleinen Unterengadiner Dorf ist die junge Frau aufgewachsen. Geboren ist sie 1990 in Lavin, doch bereits 1993 ist sie mit den Eltern und den zwei älteren Schwestern nach Guarda gezogen. Ihre Eltern sind Zugezogene, aber für Sophie Badel war immer ganz klar: «Guarda ist meine Heimat».
Ihre Lehre als Köchin machte sie im Hotel Crystal in St. Moritz und im Hotel Saratz in Pontresina. Es folgten berufliche Stationen in Zürich, Pontresina und Basel. «In Basel wollte ich eigentlich nur eine Sommersaison bleiben, am Ende wurden es zehn Jahre», erzählt sie. Sie schwärmt vom Stadtleben, von der tollen WG, von engen Freundinnen. Sophie Badel machte eine Zusatzausbildung als Schauspielerin und arbeitete nebenbei in einer Hotelbar. «Dort entdeckte ich meine Leidenschaft für die Gastronomie.»
Ein spontaner Einfall mit Folgen
Cocktails mixen, Menschen kennenlernen, nachts arbeiten, das sei lange Zeit genau ihr Ding gewesen. Sie arbeitete auch in einer Bar, deren Spezialität Rum- und Whisky-Getränke sind. Heimweh nach dem Dorfleben verspürte die junge, lebenslustige Frau nicht. 2019 wurde die Ustaria Crusch Alba frei. «Im Scherz fragte ich meinen Mann, ob er mit mir nach Guarda kommen und die Dorfbeiz führen wolle», erinnert sich Sophie Badel. Überraschenderweise habe er geantwortet: «Wenn schon selbstständig sein, dann an so einem Ort.»
Sie habe einen Moment mit sich gerungen: Ist die Rückkehr das Richtige? Kann ich in diesem Dorf noch leben? Das Paar beschloss, es zu versuchen, denn es gab nichts zu verlieren. Weil mit der Übernahme der Ustaria Crusch Alba aber der Hauskauf verbunden war, blies das junge Paar das Projekt wieder ab. 2020 meldete sich der neue Hausbesitzer, der in Sophie und Felix seine Wunschpächter gefunden hatte. Der Bonus für sie: Die Wohnung liegt genau über dem Restaurant, sodass sich die Suche nach Wohnraum für die junge Familie erledigte.
«Die Gemeinschaft ist grossartig»
2021 zog Sophie Badel also nach Jahren im Unterland zurück nach Guarda. Rückblickend sagt sie: «Je älter ich wurde, desto stärker zog es mich nach Hause, in die Berge.» Bereut habe sie die Rückkehr nie. Was sie einst in die Stadt lockte – Kino, Ausgangsmöglichkeiten, Läden – fehle ihr heute überhaupt nicht. Sie habe sich ausgelebt und sei jetzt in einer anderen Lebensphase. Sie engagiert sich im lokalen Tourismusverein und ist Mitglied im Frauenverein. «Ich will mich für die Anliegen der Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner einsetzen», sagt sie.
Sophie Badel empfindet das Leben als berufstätige junge Mutter in einem Bergdorf als einfacher, als in der Stadt. Die Wege seien kurz, die Grosseltern leben nur ein paar Strassen weiter. Der Kindergarten ist zwar im Nachbardorf Ardez, doch ein Schulbus fährt die Kinder hin, und die älteren Kinder passen auf die jüngeren auf. «Die Gemeinschaft hier im Dorf ist grossartig», sagt Sophie Badel.
Dabei war gerade die Reaktion der Dorfgemeinschaft auf ihre Rückkehr anfangs ihre grösste Sorge. «Aber ich bin als Jugendliche weggegangen und als Erwachsene mit Kind zurückgekommen. Ausserdem sind alle dankbar, dass wir die Dorfbeiz weiterführen - ich bin nur positiv aufgenommen worden», sagt sie.
Aktiver Beitrag zum Dorfleben
Dem Wirtepaar ist bewusst, dass die Führung der Ustaria Crusch Alba zu einem lebendigen Dorfleben beiträgt. «Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn wir Mitte November bis zum Start der Wintersaison schliessen», sagt Sophie Badel. Schliesslich werde am Dienstagabend in der Beiz das Kartenspiel Tschinquina gespielt, am Donnerstagmorgen kommen die Frauen zum Stricken und um Romanisch zu sprechen, und am Freitagabend treffe man sich am runden Tisch. Aber die Pause, um Kräfte zu tanken und um Familienzeit zu haben, sei wichtig.
Während Sophie Badel eine Einheimische ist, kam ihr Mann Felix als Fremder ins Dorf. Der gelernte Koch stammt aus Ulm in Deutschland. Er habe sich aber gut integriert, fühle sich wohl in Guarda, sei gerne in der Natur unterwegs, sei Fischer geworden und verstehe inzwischen sogar Romanisch.
Das Einzige, was Sophie Badel in ihrer neuen alten Heimat vermisst, sind ihre Freundinnen in Basel. Dennoch sagt sie: «Die Rückkehr war die beste Entscheidung. Ich habe meine Rolle und meinen Ort gefunden.»





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