Engadiner Post: Peter Peyer, es zirkulieren unterschiedliche Einschätzungen darüber, ob das Engadin, vor allem das Oberengadin und die angrenzenden Südtäler als ein Gebiet mit einer erhöhten Corona-Ansteckungsgefahr anzusehen ist oder nicht. Zumal alle fünf im Kanton positiv getesteten Fälle einen Bezug zum Oberengadin haben. Im Interview mit dem SRG-Regionaljournal Graubünden anfangs dieser Woche sagten Sie, «dass wir im Oberengadin wohl tatsächlich ein erhöhtes Risiko haben». Wie lautet die aktuelle Einschätzung Ihres Amtes?
Peter Peyer: In Europa ist derzeit vor allem Norditalien vom Coronavirus stark betroffen. Die derzeit in Graubünden bekannten positiv getesteten Fälle waren vorher erwiesenermassen in Kontakt mit Norditalien. Die unmittelbare Nähe von Graubünden zu dieser Region verlangt also, dass wir die Lage genau beobachten. Derzeit reichen aber die jetzt schon getroffenen Massnahmen (z. B. Kontaktmanagement) und die Einhaltung der allgemeinen Hygieneregeln aus.

Drängen sich angesichts des erhöhten Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus nicht weiterführende Präventionsmassnahmen für das Oberengadin/Val Bregaglia/Val Poschiavo auf? Dies vor dem Hintergrund, dass in dieser Gegend besonders viele Frontalieri in mehreren Berufsbranchen tätig sind und zudem aufgrund der Sportferien in Norditalien in diesen Tagen mit noch mehr Wintersportlern gerechnet werden muss?
Nein, die bis heute getroffenen Massnahmen sind zur Eindämmung der Verbreitung ausreichend. Mindestens so wichtig wie die staatlich verordneten Massnahmen ist das eigenverantwortlich korrekte Verhalten der Bevölkerung, das BAG hat die entsprechenden Empfehlungen erlassen: gründlich Hände waschen, in Taschentuch oder Armbeuge husten und niesen, bei Fieber und Husten zu Hause bleiben, Händeschütteln vermeiden, nur nach telefonischer Anmeldung Arztpraxis oder Notfallstation aufsuchen, Papiertaschentuch nach Gebrauch in geschlossenen Abfalleimer entsorgen. Zudem sind wir gerade in den Spitälern, etwa im Puschlav oder im Bergell, auf Fachpersonal aus Italien angewiesen. Aber diese Personen wissen, wie mit den persönlichen Hygienemassnahmen umzugehen ist.

Bis jetzt wurde es den einzelnen Betrieben/Privatpersonen überlassen, die vom Bundesamt für Gesundheit angeordneten Schutzmassnahmen in Eigenverantwortung umzusetzen. Was müsste geschehen, damit das Bündner Gesundheitsamt verschärfte, vielleicht auf Regionen gemünzte Massnahmen anordnet, um eine weitere Ausbreitung der Krankheit einzudämmen? Ich denke da an drastische Massnahmen wie die Schliessung der Grenze zu Italien.
Der Kanton hat in einem ersten Schritt auf Regionen zugeschnittene Massnahmen erlassen, um eine weitere Ausbreitung einzudämmen und entschieden, dass diese auf den gesamten Kanton ausgedehnt werden. Die Lage wird laufend beurteilt, und sollten regionale Massnahmen erforderlich sein, werden auch wieder solche erlassen. Die Bevölkerung kann sich unter www.gr.ch/coronavirus laufend informieren. Aber wie gesagt, wichtig ist die Einhaltung der allgemeinen Hygienemassnahmen. Dies ist ein massgeblicher Beitrag, um die Verbreitung einzudämmen. Darum lassen wir beispielsweise auch die Schulen offen. Dort sind die Hygienemassnahmen einfach anzuwenden. Zudem sind Kinder nach aktuellem Wissensstand weniger häufig betroffen. Ihre Kontakte können einfach nachverfolgt werden. Dazu kommt, dass Kinder, die nicht zur Schule gehen, oft auch von Grosseltern betreut werden. Diese älteren Menschen zählen aber genau zur Risikogruppe. Die Schliessung der Grenzen kann nicht vom Kanton beschlossen werden, ebenso wenig die Einschränkung des grenzüberschreitenden Verkehrs. Dies ist Sache des Bundes, der Kanton steht mit diesem in allen Belangen in einem guten Austausch.

Nach aktuellen Wissensstand sind neun Personen im Oberengadin positiv auf das Coronavirus getestet worden, weitere neun Personen befinden sich noch in Abklärung. Hat sich diesbezüglich etwas geändert?
Bis jetzt, Mittwoch, den 4. März um 6.30 Uhr, hat sich an dieser Situation nichts geändert. Deshalb bleiben auch unsere Massnahmen unverändert. Wir prüfen im Sinne der Prävention jeden Anlass, der stattfinden soll und uns gemeldet wird. Dabei achten wir unter anderem als Faustregel auch darauf, ob mehr als 50 Personen erwartet werden. Dies ist die Zahl, die sich über unser Kontaktmanagement im Falle einer Ansteckung noch rückverfolgen lässt. So konnten auch die Krankheitsfälle im Oberengadin gut nachverfolgt und im Umfeld der zuerst Erkrankten die nötigen Massnahmen ergriffen werden.
Interview: Marie-Claire Jur