Fast alle haben eine Geschichte zur Blockflöte zu erzählen. Mir kommt Lehrer Stäger in den Sinn. Ein Lehrer alter Schule, streng, autoritär, respekteinflössend. Ich habe die Blockflöte nie wirklich gemocht. Nur schon beim Gedanken an die schiefen Quietschgeräusche lief und läuft es mir kalt den Rücken runter. Aber ich hab mich irgendwie durchgemogelt, habe später sogar den Aufstieg vom Flötisten zum Klarinettisten geschafft. Von acht zu 22 Tonlöchern, vom Fiat Panda zum VW Sharan, bildlich gesprochen. 

Zurück zur Blockflöte und damit zur Einführung von Mitschüler Bruno. Gastarbeiterkind, Legastheniker, Zappelphilipp. Schlechte Voraussetzungen, um in der Gunst von Lehrer Stäger zu stehen. Während wir in der ersten Stunde unsere Holzflöten aus dem Stoffetui klaubten, zog Bruno eine Plastikflöte aus seinem Schulsack. Für 6,90 Franken im Warenhaus gekauft. Lehrer Stäger blickte zu Bruno, dann zur Flöte und schritt zur Tat. Ein kurzer, satter Schlag mit der Flöte über die Pultkante reichte, und Bruno war Besitzer von zwei Piccolos. Im übertragenen Sinn. Bevor er begriff, wie ihm geschah, schmiss Lehrer Stäger die zwei Flötenstücke aus dem Fenster auf den Schulhausplatz. Das war das Ende von Brunos Flöte und seiner Musikkarriere. Meine endete mit der obligatorischen Schulzeit. Ich hatte es von der dritten zur zweiten Klarinettenstimme in der Kadettenmusik geschafft. Der Wechsel von der Kadetten- in die Militärmusik – damals die einzige Option – war für mich als 16-Jähriger keine. So verschwand die Klarinette im schwarzen Köfferchen und dieses im Schrank. 

Dort leistet ihr seit vier Jahren ein Ämmitaler-Örgeli Gesellschaft, welches mir meine Schwiegermutter geschenkt hat. Keine Löcher hat das Örgeli, dafür 49 Tasten. Ich sollte mich überwinden und mit dem Lernen beginnen. Würde ich es schaffen, wäre einmal mehr der Tatbeweis erbracht, dass mit der Blockflöte so manche musikalische Karriere begonnen hat. Brunos ausgenommen.

Autor: Reto Stifel

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