Die Frage nach der Unabhängigkeit der Medien ist eine in diesen Tagen häufig gestellte. Und ausgerechnet jetzt verleiht die Region Maloja einen ihrer drei Kulturpreise 2021 an die Gammeter Media AG und deren Lokalzeitung «Engadiner Post/Posta Ladina». Ist das richtig?

Da ehrt die Region Maloja als politische Verwaltungseinheit mit dem Segen aller Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten des Oberengadins ein lokales Medium, welches jahrein, jahraus über regionale Belange schreibt, die Region und ihre Protagonisten kritisch begleitet, Projekte vorstellt, Entscheide dokumentiert, kommentiert, hinterfragt und, gerade auch der Politik, gerne auch unangenehme Fragen stellt. Ist das richtig?

Wir denken, ja. Nicht aus Überheblichkeit, sondern aus dem Wissen, dass wir Teil der Region und damit Teil der Gemeinschaft und Teil der hiesigen Kultur sind. Wir sagen der Region Maloja und ihrer Kulturförderungskommission danke, springen hier und jetzt über unseren Schatten und machen für einmal uns selbst zum Thema.

«Kultur ist Zusammenleben»

Für den Bündner Kulturdirektor Jon Domenic Parolini zieht der Kanton Graubünden aus der Kultur wesentliche Grundlagen seines Selbstverständnisses. «Kultur», so Parolini bei seiner Ansprache anlässlich der Kulturpreisverleihung in Samedan, «ist Zusammenleben, Kultur ist Begegnung und gibt Kraft. Wir alle haben in den letzten zwei Jahren erlebt, was es heisst, wenn Kultur fehlt. Deshalb gilt es erst recht, ihr Sorge zu tragen.» 

Einen besonderen Fokus gelte es auf die Stärkung der kulturellen Teilhabe zu legen, damit Kultur einem möglichst breiten Bevölkerungskreis zugänglich werde. Zweisprachigkeit, Traditionen oder auch das kulturelle Erbe sollen gepflegt und bewahrt werden. «Ein vitales, kulturelles Leben trägt viel dazu bei, die Attraktivität der Region für uns Einheimische wie auch für unsere Gäste zu bewahren.» 

Laut Jon Domenic Parolini zeichne der Kulturpreis und die gleichzeitig anstehende medienpolitische Abstimmung zum Mediengesetz die Geschichte der Engadiner Medienlandschaft nach und lege Zeugnis von zwei Entwicklungen ab, die aktueller nicht sein könnten: «Dem kontinuierlichen Konzentrationsprozess einerseits und der bleibenden Notwendigkeit einer fundierten medialen Berichterstattung aus den Regionen.» Mit Blick auf die Lancierung der zweisprachigen «Engadiner Post/Posta Ladina» vor nunmehr 25 Jahren und der zeitgleichen Gründung der staatlich subventionierten romanischen Nachrichtenagentur – heute Fundaziun Media Rumantschas FMR – sagte er: «Diese 25-jährige Geschichte zeigt, dass ein wohldosierter Einsatz öffentlicher Mittel durchaus zur Medienvielfalt in unserem geografisch, sprachlich und kulturell vielgestaltigen Land beitragen kann.»

Ehre, wem Ehre gebührt

Fadri Guidon sagte als Vorsitzender der Kulturförderkommission, Kultur werde in der Region seit Jahrhunderten gelebt und das, wie auch Sport, auf Weltniveau. «Was wären wir, was wäre der Mensch ohne Kultur?» Deshalb sei es Aufgabe der Kulturkommission, kulturelle Aktivitäten zu unterstützen und wertzuschätzen, kulturelle Projekte, welche den Zugang zu Kultur, Kulturforschung, -austausch und -vermittlung beinhalten und stärken, zu fördern und Menschen auszuzeichnen, die sich hier für den Erhalt der Kultur verdient gemacht haben.

An die Worte Guidons knüpfte auch Rico Valär an. Er ist Professor für rätoromanische Literatur und Kultur, Mitglied der Kulturförderungskommission der Region Maloja und hielt die Laudatio für die Gammeter Media AG und die Redaktion der EP/PL. Er hob drei Bereiche hervor, um die sich das St. Moritzer Medienhaus und die beiden Redaktionsbüros in St. Moritz und Scuol verdient gemacht hätten: «Der qualitativ hochstehenden und thematisch breiten Kulturberichterstattung, gerade auch in Zeiten, in denen der Kulturgenuss eingeschränkt war oder immer noch ist.» Ferner den immer regelmässiger erscheinenden Buchveröffentlichungen in deutscher und rätoromanischer Sprache aus dem Verlagshaus Gammeter. «Mit dem Anerkennungspreis möchten wir den Verlag motivieren, sich als zweisprachiger Buchverlag weiterzuentwickeln.» Und er würdigte, last but not least, die Haltung des Medienhauses, «zur Digitalisierung und Zugänglichmachung aller vergangener Ausgaben ihrer Zeitung für alle, und gratis, im Internet» (siehe Infobox).

«Ein wahrer Informationsschatz»

«Die digitalisierte ‹Engadiner Post›, so Valär weiter, «ist ein wahrer Informationsschatz für unsere Region – für Familienforschung, Geschichtsschreibung, Personengeschichte, Medien-, Sprach- und Tourismusforschung, aber auch einfach für allen individuellen und persönlichen Wissensdurst.» Im Gegensatz zu anderen Bündner Medienhäusern könne die proaktive Haltung der Verlegerfamilie Gammeter bezüglich der Digitalisierung deshalb nicht genug gelobt und anerkannt werden.

Der Preis soll gemäss Rico Valär Antrieb sein, auch in schwierigeren Zeiten durchzuhalten: «Mit dem Anerkennungspreis sollen die kulturellen Leistungen geehrt, die Solidarität mit der Zeitung unserer Region manifestiert und auch die Zweisprachigkeit im Blatt gestärkt und unterstützt werden.» 

«Daten gehören nicht uns allein»

Das honorierten in ihren kurzen Dankesreden auch Martina Gammeter und Reto Stifel: «Dieser Anerkennungspreis bedeutet uns viel», sagte Martina Gammeter, «es ist schön, diese Wertschätzung für unser Schaffen erfahren zu dürfen.» Der Entscheid zur Digitalisierung aller Ausgaben der «Engadiner Post» sei der Logik gefolgt, «dass aus historischer Perspektive gesehen diese Daten nicht uns alleine gehören können, sondern öffentliches Kulturgut sind. Ohne die Talschaften, ihre Bewohner und deren Tätigkeiten gäbe es keine Berichterstattung in Wort, Bild und Ton – es gäbe nichts, worüber wir schreiben könnten. All diese Begebenheiten sind nur deshalb Teil unserer Zeitung, weil sie hier in unserer Region stattfinden», so Martina Gammeter. 

Reto Stifel verwies seinerseits auf die redaktionelle Arbeit, wo kulturpolitische und andere Vorhaben in der Region mit einem kritischen und wachsamen Auge begleitet werden. «Gleichzeitig bieten wir kulturellen Veranstaltern eine Plattform für ihre Anlässe. Das ist in Zeiten, wo Medien mit wegbrechenden Werbeeinnahmen zu kämpfen haben, nicht mehr selbstverständlich», so Stifel. «Wir tun es, weil wir überzeugt sind, dass Kultur und kulturelles Schaffen identitätsstiftend ist und das Wir-Gefühl stärken.» Die Stimmung während der Kulturpreisverleihung gab ihm recht.

 

Infotext: Digitalisierte «Engadiner Post» seit 1893

Was stand vor 129 Jahren, am 29. September 1893 in der «1. Probenummer» der «Engadiner Post»? Wer dies vor zwei Jahren in Erfahrung bringen wollte, kam um den Gang ins Archiv der gedruckten Ausgaben der «Engadiner Post» nicht herum. Heute geht das dank der Digitalisierung aller bisherigen Ausgaben seit 1893 durch die Gammeter Media AG ganz bequem von zu Hause oder von Unterwegs aus. 

Als Zauberschlüssel zu den digitalisierten Ausgaben der «Engadiner Post» und zahlreichen anderen Publikationen fungiert die Internetplattform e-newspaperarchives. Diese Zeitungssammlung umfasst nach Kantonen gegliedert aktuell 164 Titel, unter welchen rund 952'400 Ausgaben, über neun Millionen Seiten und über 69 Millionen Artikel zu finden sind. Neben den Ausgaben der «Engadiner Post» finden sich hier auch die Ausgaben des «Fögl d’Engiadina» von 1857 bis 1939 oder des «Grigione Italiano» von 1852 bis 2011. 

Übrigens befand sich auf der Front der ersten EP, damals noch mit dem Zusatztitel «Winter-Fremdenliste» versehen, eine Einleitung zur Lancierung der EP, ein Wort «an unsere Leser», das Feuilleton «Beschreibung der Gemeinde Celerina im Oberengadin» und schon damals auch eine «Korrespondenz aus dem Unter-Engadin». 

Dieser Link führt zur Internetseite www.e-newspaperarchives.ch und damit zu 128 Jahren «Engadiner Post» in digitaliserter Form und mit Volltextsuche.

Autor: Jon Duschletta, Fotos: Daniel Zaugg, Video Nicolo Bass