Der Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben besagt ein Sprichwort. Mit Ausnahmen selbstverständlich. Der frühe Sonntagmorgen verspricht viel. Die Luft ist feucht von den Gewitterregen des Vortages. Der Nebel hängt schwer über dem Stazersee. Das andere Ufer beim Restaurant ist nicht zu sehen. Zu hören ist dafür Musik. Soundcheck von Nesrine und ihrer Band. Die Töne, die sanft übers Wasser durch den Nebel getragen werden, schüren die Vorfreude. Die Leute strömen von St. Moritz, Pontresina oder Celerina zur Bühne am See. Ein paar Hundert sind gekommen. Wenigen dürfte die franko-algerische Sängerin und Cellistin Nesrine Belmokh ein Begriff sein. Doch genau das macht den Reiz dieses Konzertes aus. Sich auf unbekannte Musik einlassen und dabei die mystische Stimmung mit dem Nebel geniessen, der während dem gut einstündigen Konzert langsam der Sonne Platz macht. Doch warum über das Wetter schreiben, wenn Nesrine so tolle Musik macht? Stark die Stimme, mit mal lauten, eindringlichen und dann wieder leisen, sanften Tönen. Ein Genuss ihr Cellospiel. Stimme, Cello und Perkussion – wer auch immer die Idee hatte, Nesrine und ihre Band am Stazersee auftreten zu lassen – die Idee war unglaublich gut. Und: Doch, diesen Sonntagmorgen musste man vor dem Abend loben. 

 

Bei Morrison die Zeit vergessen

Der Abend beginnt eigentlich schon am Vormittag. Etliche machen es sich gleich den ganzen Tag am Stazersee gemütlich. Andere strömen bereits am späten Nachmittag von St. Moritz, Pontresina und Celerina herkommend zum lauschigen Moorsee, welcher während den Open-Air-Konzerten in «Lej da Jazz» umgetauft wird. 3300 bis 3600 sind es gemäss Veranstalterangaben. Mitten im Publikum Redaktorin Denise Kley, die bei James Morrison rasch einmal die Zeit vergisst:

James Morrison. Ein Vertreter der Generation «Maybe». Zu den «Maybes» gehören die, die in den 80ern und zu Beginn der 90er geboren sind. Eine wankelmütige Generation, der es eigentlich sehr gut geht und die innerlich trotzdem das Gefühl hat, auf der Stelle zu treten. Es sind Menschen, die sich aufgrund der Vielfalt an Möglichkeiten nicht gerne entscheiden. 

Unentschlossene. Zauderer. Orientierungslose. Abwarter. Im Grunde handelt der Songtext seines Nummer-1-Hits «You Give Me Something» auch von einem, der nicht so wirklich weiss, ob er seine Partnerin liebt oder nicht. Und schuf damit die Hymne der ewig Bindungsunfähigen, der Unsicheren, der Zauderer, der Abwarter. Doch heute sind die dazumal Suchenden und Ahnungslosen erwachsener geworden. Und James Morrison mit ihnen. Aus dem unsicher dreinblickenden Jüngling und Posterboy der 2000er-Jahre mit Hundeblick, teils verdeckt vom halblangen Pony und dem 2006 der Durchbruch gelang, ist ein gestandener enddreissigjähriger Musiker und Hemdträger mit gestutzten Haaren geworden, der offensichtlich weiss, was er will: das Engadiner Publikum am Lej da Staz verwöhnen. 

Ein paar Smartphones blitzen in der untergehenden Abendsonne auf, doch die meisten Zuschauer geniessen das Konzert analog: Am Ufer sitzend lassen sie sich von den souligen Klängen des Briten berieseln. Man vergisst die Zeit, als er die Akkorde seines ersten Erfolgshits anstimmt, Denn dann ist man plötzlich wieder im Jahr 2006 gelandet. Eine sphärische Entrückung. Bei seinem nächsten und altbekannten Hit «You Make It Real» erwischt man sogar ein paar – normalerweise scheue – Engadiner dabei, wie sie leise mitsummen, ganz Wagemutige stehen gar von der Picknickdecke auf und schunkeln mit den Hüften, während sich Verliebte in den Armen liegen und sich zu der Musik Morrison’s Liebesschwüre leisten. 

Das einzige, was man ihm vorwerfen kann, ist, dass er der Zuhörerschaft keine Zugabe beschert hat und das Konzert nach bereits gefühlten zehn Minuten vorbei war. Aber so ist das nun mal mit Morrison: Man vergisst die Zeit. Welches Jahr haben wir noch gleich?

 

Achtung Kuschelalarm

Apropos Generationen: Redaktor Daniel Zaugg ist eine Generation älter. Er sieht einen James Morrison, welcher seine gitarrenlastigen Songs geschickt choreografiert und mit unvergleichbarer und leidenschaftlicher Stimmfarbe untermalt: 

Den Stazersee im Rücken der Bühne, die Engadiner Berge im Licht der untergehenden Sonne und gut 3000 erwartungsfrohe, bunt durchmischte und gut gelaunte Fans in der Wiese vor ihm. Der britische Singer und Songwriter James Morrison war von der Szenerie sichtlich beeindruckt. «Wow, what a wonderful place. You are so lucky people», und war sich sicher, dass die Leute im Engadin ob der schönen Natur ständig ein Lachen im Gesicht tragen. 

Ihm jedenfalls hat die fantastische Kulisse in der Engadiner Abendsonne ein Lachen ins Gesicht gezaubert, aber nicht die Stimme verschlagen. Im Gegenteil, der 38-Jährige legte mit seiner Band gleich leidenschaftlich los. Mit seiner souligen Stimme gab er sich nahbar, charmant und locker. Immer den Kontakt zum Publikum suchend, konnte er seine Vergangenheit als Strassenmusiker nicht verleugnen. 

James Morrison Catchpole, so sein voller Name, lernte mit 13 das Gitarre spielen und verdiente sein erstes Geld mit gerade mal 16 Jahren als Musiker auf der Strasse im englischen Porth. In Porth traf er auf einen Musiker, der ihm die Aufnahme einiger Demosongs ermöglichte. Kurz darauf erhielt er seinen ersten Plattenvertrag bei Polydor Records und sein kometenhafter Aufstieg war nicht mehr zu bremsen.

Es folgten etliche Alben und Platzierungen in den Charts so wie unzählige Goldene und Platin Schallplatten. Der zeitlose Sound Morrisons greift bewährte Themen auf und berührt. Seine gitarrenlastigen, gefühlvollen Lieder choreografiert er geschickt mit unvergleichbarer und leidenschaftlicher Stimmfarbe. In seinen Songs geht es um Liebe, Selbstzweifel, Unsicherheiten, Power und autobiografische Inhalte. Er selbst bezeichnet seine Texte als «warm, ehrlich und pur». 

Auf der Bühne am Stazersee spielte er, wie er selber sagt, tanzbare Songs auf die «Oldschool-Art». Bei den ersten Songs hielt sich das Publikum zwar diesbezüglich noch etwas zurück. Aber spätestens als die Band mit den älteren und bekannteren Songs wie «Broken Strings» oder «You Give Me Something» einheizte, kam auf der Wiese vor der Bühne Tanzstimmung und zuweilen gar Kuschelalarm auf. 

Und als sich gegen Ende des Konzerts auch die zahlreich anwesenden «Best-Ager» von ihren Picknickdecken erhoben, setzte Morrison zum Schluss- und gleichzeitigen Höhepunkt an. Bei «Wonderful World», mit dem Morrison mit damals erst 23 Jahren zum Weltstar wurde, waren alle am Klatschen, Tanzen und Handyschwenken. Schade nur, dass es trotz des langen und tosenden Applauses keine Zugabe gab. 

Texte: Stifel/Kley/Zaugg

Foto: Daniel Zaugg