Ende September ist in St. Moritz der fünfköpfige Gemeindevorstand gewählt worden. Es war ein mit harten Bandagen geführter Wahlkampf mit einem überraschenden Ausgang: Die beiden bisherigen Vertreter der FDP, Regula Degiacomi und Michael Pfäffli wurden abgewählt, dafür schafften Prisca Anand und Christoph Schlatter den Einzug in die fünfköpfige Exekutive. Anand und Schlatter waren erst kurz zuvor im Streit mit der FDP aus der Partei ausgetreten und wurden als Unabhängige gewählt. Unterstützt im Wahlkampf wurden die beiden unter anderen von der Gruppierung Next Generation, die mit Claudia Aerni selber eine Kandidatin stellte, die aber nicht gewählt wurde. Neben Anand und Schlatter sind Reto Matossi (GdU, bisher) und Gian Marco Tomaschett (SVP, neu) in den Vorstand gewählt worden, bereits im Juni war Gemeindepräsident Christian Jotty Jenny in seinem Amt bestätigt worden. 

Der Wahlkampf wurde zum einen auf die klassische Art und Weise geführt, mit Inseraten, Flyern, Plakaten und zahlreichen Leserbriefen. Zum anderen wurde aber auch in den sozialen Medien für die Kandidatinnen und Kandidaten geworben. Auf Facebook, Instagram oder TikTok. Wie eine gemeinsame Recherche des Regionaljournals Graubünden von Radio SRF und der «Engadiner Post/Posta Ladina» zeigt, ist dabei auch Geld an Jugendliche geflossen, die die Kandidatur von Aerni, Anand und Schlatter auf Instagram und TikTok beworben haben. Konkret mussten die Jugendlichen ein vorproduziertes Supportvideo in ihrer Instagram-Story teilen und ein kurzes Statement für die Kandidierenden abgeben. Für diesen Aufwand wurden sie mit 200 Franken in bar und einem Gutschein von 100 Franken für das Hotels Laudinella entschädigt.

Die Aktion koordiniert hat Loris Moser. Er ist Co-Founder und CEO der Firma NoTomorrow – Events GmbH und somit CEO des in diesem Jahr erstmals durchgeführten SunIce Festivals und sitzt ab dem 1. Januar für die Next Generation im St. Moritzer Gemeinderat. «Statements von lokalen Microinfluencern auf Instagram oder TikTok sind ein gängiges Mittel im modernen Marketing», sagt er auf Anfrage. Mit den herkömmlichen Medien erreiche man nur einen kleinen Teil der Zielgruppe. Er bestätigt, dass die Influencer für ihren Aufwand entschädigt worden sind. Dieser Aufwand bestehe nicht alleine im Posten der Botschaft, die korrekte Umsetzung, das Einhalten des Zeitrahmens, aber auch der Wert der regionalen Reichweite eines jeden Influencers werde entschädigt. Gemäss Moser ist die Entschädigung von 100 bis 200 Franken in bar sowie ein Gutschein für ein Essen angemessen. 

Angefragt wurden 20 junge Einheimische, 16 haben zugesagt, so Moser. «Die Kampagne hat sehr gut funktioniert. Die Filme wurden über 30 000 Mal angesehen, ohne dass wir dafür einen einzigen Franken in die USA überweisen mussten», sagt er. Regionale Microinfluencer haben gemäss Moser keine grosse weltweite Reichweite, aber auch eine hohe Glaubwürdigkeit in einem kleinen Kreis: «Einheimische Jugendliche interessiert es, was andere einheimische Jugendliche sagen und denken», so Moser. 

Petra Müller* ist eine der Jugendlichen, die von Loris Moser respektive über eine Kollegin angefragt wurde, ob sie bereit sei, für 200 Franken die Videobeiträge in der eigenen Instagram-Story zu teilen und mit einer persönlichen Wahlempfehlung zu ergänzen. Sie hat sich entschieden nicht mitzumachen. Zum einen, weil sie nicht Leute zur Wahl empfehle, die sie nicht kenne, zum anderen, weil sie ganz grundsätzlich keine politische Werbung mache, wenn sie nicht zu 100 Prozent dahinterstehen könne. Petra Müller wurde später von Loris Moser noch einmal kontaktiert mit der Frage, ob sie für 300 Franken bereit sei, mitzumachen (der Chatverlauf liegt dieser Zeitung vor). Sie ist aber bei ihrem Entscheid geblieben. «Ich störe mich nicht daran, dass politische Werbung vermehrt auch in den sozialen Medien stattfindet. 300 Franken nur für das Teilen einer Story finde ich aber unverhältnismässig», sagt sie. 

Mitgemacht hat Stefan Meier*. «Für mich als Student ist das einfach verdientes Geld», sagt er. Meier wurde von Loris Moser über Whatsapp mit dem gleichen Anliegen kontaktiert. Dies mit der Begründung, dass wenn Aerni, Anand und Schlatter gewählt würden, auch in Zukunft so coole Events wie das SunIce Festival stattfinden könnten. 200 Franken hat Stefan Meier auf sein Konto überwiesen bekommen, der 100 Franken-Essensgutschein wurde ihm vom Hotel direkt zugeschickt. 

Was sagt Martin Hilti zu dieser Art Wahlkampf? Hilti ist seit 2015 Geschäftsführer von Transparency Schweiz, einer Organisation, die Korruption in der Schweiz und in den Geschäftsbeziehungen von Schweizer Akteuren mit dem Ausland bekämpft. «Soweit ersichtlich, dürfte diese Art der Politwerbung nicht gegen gesetzliche Bestimmungen verstossen. Hingegen könnte ein Verstoss gegen Nutzungsbestimmungen der sozialen Medien vorliegen», sagt er auf Anfrage. Meta, der Mutterkonzern von Facebook, Instagram und anderen hält auf seiner Website fest, dass Anzeigen mit politischer Werbung einen Disclaimer enthalten müssen. Unabhängig von dieser Frage kritisiert Hilti die Art und Weise, wie im vorliegenden Fall Politwerbung betrieben worden ist. «Aus demokratiepolitischer Sicht ist das problematisch.» Zumindest hätte transparent gemacht werden müssen, dass es sich um bezahlte Politwerbung handelt.

 Vor dem Hintergrund des Lauterkeitsrechts im digitalen Raum bestätigt auch der Zürcher Rechtsanwalt Martin Steiger, dass kein Verstoss gegen schweizerisches Recht vorliegt. Zwar seien die Richtlinien von Social-Media-Plattformen für die einzelnen Nutzer verbindlich, ob diese Richtlinien durchgesetzt würden, sei aber Sache der Betreiber. Steiger sieht aber einen möglichen Reputationsschaden für Kandidierende, die Social-Media-Nutzer für politische Schleichwerbung entschädigen (siehe Artikel «Facebook ist out, TikTok und Instagram sind in» auf Seite 2). 

Nebst diesen Transparenzdefiziten muss man sich gemäss Hilti insgesamt fragen, ob man solche Formen von politischer Werbung, wie sie in St. Moritz praktiziert wurde, überhaupt wolle. «Es ist doch der falsche Weg, den Leuten Geld für die Verbreitung von politischen Botschaften in ihrem Freundeskreis anzubieten. Und wenn diese Leute dann tatsächlich gegen Bezahlung und nicht aus inhaltlicher Überzeugung politische Botschaften an ihre Freunde übermitteln. So besteht die Gefahr, dass der private politische Diskurs käuflich und somit verfälscht wird.»

«Wenn man lokale Microinfluencer mit kleinen Beträgen für ihren zeitlichen Aufwand entschädigt, ist das nichts anderes, als wenn man die Engadiner Post für die Publikation eines Inserates, eine Grafikerin für ein Werbesujet oder die APG für ein Plakat bezahlt», entgegnet Moser. Dass die Instagram-Storys nicht als bezahlte Werbung markiert worden sind, bezeichnet er als Fehler. Das sei bei so kleinen Microinfluencern aber auch nicht weiter tragisch – vor allem nicht, da der Inhalt die eigene Meinung der Microinfluencer widerspiegele, die Reichweite eines Einzelnen jedoch eher als marginal zu betrachten sei. 

Und was sagen die drei, die mit dieser Social-Media-Kampgange unterstützt worden sind? Claudia Aerni bemerkt, dass die sozialen Medien auch auf politischer Ebene immer wichtiger werden: «Statements von lokalen Influencern gehören zur heutigen Medienwelt. Das ist auch in der Politik so. Ich finde es positiv, wenn Kampagnen mit jungen Leuten im Engadin realisiert werden. Sie tragen dazu bei, dass sich junge Leute mit der Politik befassen und haben eine hohe Glaubwürdigkeit.» Auch Prisca Anand ist dieser Meinung: «Die Jugendlichen sollten mehr in die Politik miteinbezogen werden und können über diese Kanäle erreicht werden.» Christoph Schlatter war verantwortlich für die Finanzen des Wahlkampfes. Auch er sagt, dass man als Politiker mit der Zeit gehen sollte, um junge Wähler abzuholen: «Eines der Probleme der heutigen Politik ist, dass sie die jungen Wählerinnen und Wähler fast gar nicht erreicht. Mit unsere Wahlkampagne wollten wir das ändern, sie erreichte alle Altersgruppen und auch Wochenaufenthalter, die zum Beispiel studieren.» Insgesamt wurden gemäss Schlatter rund 1000 Franken in bar und Essensgutscheine von rund 2000 Franken eingesetzt. 

*Die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt, aus Gründen des Quellenschutzes für den Text aber geändert worden.

Autoren: Denise Kley und Reto Stifel