«Der Fokus der Auszeichnung ‹Gute Bauten Graubünden› hat sich in den letzten Jahren verlagert: Weg vom designten Objekt hin zu einer Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt in einem umfassenderen Verständnis.» Was der Architekt Martin Heim, Präsident des Vereins «Gute Bauten Graubünden» in seinem Vorwort zur Ausstellung schreibt, lässt sich in der historischen Samedner La Tuor auf fünf Stockwerken eindrücklich nachvollziehen. Die insgesamt 82, auf Schautafeln präsentierten Projekte, zeigen einen eindrücklichen Querschnitt durch die Bündner Bautätigkeit der letzten vier Jahre. Der Ersatz der RhB-Galerien auf der Alp Grüm ist ebenso vertreten wie die Erweiterung des Eisstadions Davos. Das Studio Cascina Garabald in Castasegna ebenso wie die Siedlung «Vier Jahreszeiten» in Chur. Und auch das kommunale räumliche Leitbild von Ilanz hat einen Anerkennungspreis erhalten. «Die Reihe der besten Projekte in Graubünden zeigt, was mit hoher Bestellerkompetenz, dem Können der Planenden und bisweilen auch politischem Willen möglich ist. Es sind Beispiele für ‹hohe Baukultur›», schreibt der Leiter der Sektion Baukultur im Bundesamt für Kultur, Oliver Martin, in der Ausstellungsbroschüre. 

 

Gebaute Umwelt in der Krise

Ist in Graubünden in Sachen Bauen also alles zum Besten bestellt? «Nein», findet Martin. «Die Zahl der guten Bauten ist klein, wo bleibt der Rest?», fragt er sich. Trotz hervorragender einzelner Vorhaben komme man um den deprimierenden Eindruck nicht herum: «Unsere gebaute Umwelt ist in der Krise.» Im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sei die Kultur beim Planen und Bauen zunehmend abhanden gekommen. «Technisierung und Ökonomisierung haben die Baukunst vereinnahmt.» Und auch Architektin und Jurypräsidentin Marina Hämmerle aus dem österreichischen Voralberg konstatiert, «dass die gelungenen städtebaulichen-architektonischen Akkupunkturen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Überformung und Nachverdichtung vom Bestand seit der letzten Preisverleihung 2017 vielerorts einen weiteren Schub erfahren haben.»

 

Sechs Auszeichnungen

Von den 82 eingereichten Projekten wurden 22 zur näheren Prüfung ausgewählt und vor Ort angeschaut. Schliesslich einigte sich die fünfköpfige Jury, der auch die Bergeller Nationalrätin Anna Giacometti angehörte, auf sechs Auszeichnungen und acht Anerkennungen. Zu den sechs ausgezeichneten Projekten aus Südbünden gehören die bereits erwähnte RhB-Galerien Alp Grüm, das Studio Cascina Garbald in Castasegna sowie der Unterhaltsstützpunkt Berninapass beim Ospizio Bernina. Bei den RhB-Galerien lobt die Jury, dass sich trotz der hohen statischen Anforderungen äusserst filigrane Galerien realisieren liessen, welche sich zeitlos und schön in die Landschaft einordnen.

 

Gekonnte Verbindung

In Castasegna ist eine ehemalige Kastaniendörrhütte zu einem Studio umgebaut worden (Ruinelli Associati Architetti, Soglio), welches Forschenden der nahen Villa Garbald zur Verfügung steht. Gemäss der Jury stimmt das kleine Haus in die Melodie des Ortes ein und verbindet gekonnt das bestehende Ensemble von Villa, Turm und umfriedetem Garten mit dem angrenzenden Obsthain und seinen Cascine. «Müsste man eine Metapher für die beschauliche Schönheit rund um die Villa Garbald skizzieren, wäre dieser kleine Ersatzbau definitiv Teil des Bildes», heisst es im Jurybericht. 

2019 ist der neue Unterhaltsstützpunkt auf dem Berninapass (Bearth und Deplazes Architekten AG, Chur) eröffnet worden. Die Jury lobt, dass dieser den Spagat schafft – «er ist dem Berg als grosse, raumbildende Geste abgerungen, ohne laut zu werden.» Nach aussen würden nur zwei Elemente in Erscheinung treten, der Rest des gigantischen Betonbaus verschwinde unter dem achtsam renaturierten Gelände. Speziell erwähnt, wird die, durch eine private Sammelaktion ermöglichte, «camera obscura» im Reserveraum des Silos mit Blick auf den Piz Cambrena. «Alles in allem eine zeichenhafte und lyrische Synthese von Funktion, Struktur, Material und Natur.» Zu den acht Projekten mit einer Anerkennung gehören aus Südbünden die Fuschina da Guarda in Giarsun (Architekt: Urs Padrun, Guarda) und das Höhentrainings- und Wettkampfzentrum St. Moritz (Krähenbühl, Architekten Studio, Davos). 

 

Inspirierende Ausstellung

In der La Tuor in Samedan sind nicht nur die prämierten Arbeiten, teils mit zusätzlichen Erläuterungen, Skizzen Plänen und Modellen ausgestellt, auch alle anderen Eingaben können besichtigt werden. Gemäss der Jurypräsidentin umfasst die Auswahl «einen Querschnitt von Aufgaben, Lösungsansätzen und Massstäben, die wir als beispielgebend erachten.» Auf jeden Fall ist es eine kleine aber feine und inspirierende Ausstellung für alle, die Interesse an der Architektur haben. 

Autor und Foto: Reto Stifel

Die Ausstellung in der La Tuor in Samedan ist noch bis am 12. März 2023 zu sehen. Jeweils von Mittwoch bis Sonntag von 15.00 bis 18.00 Uhr. Weitere Infos: www.latuor.ch