Kürzlich hat die Engadiner Kraftwerke AG auf dem Flachdach ihres Werkstattgebäudes am Firmensitz in Zernez eine bifaziale Photovoltaik-Anlage in Betrieb genommen. Eine solche PV-Winterstromanlage steht seit 2017 auch schon auf dem Dach der Liegenschaft von St. Moritz Energie in St. Moritz.

Trotzdem habe man mit der Planung und Realisierung der Anlage eine Art Pionierrolle übernehmen und auch Teil der Energiewende sein wollen, sagt Heinz Gross, Geschäftsleitungsmitglied und Leiter Projekte und Logistik bei der Engadiner Kraftwerke AG (EKW). In der Tat sollen sich nach Ansicht von Gross erneuerbare Energien wie Wasserkraft und Photovoltaik wo immer möglich ergänzen. Als 1954 gegründete Kraftwerkgesellschaft gehören die EKW mit einer Jahresproduktion von rund 1400 Millionen Kilowattstunden zu den zehn grössten Stromproduzenten der Schweiz und decken rund 2,5 Prozent des jährlichen Stromverbrauchs in der Schweiz ab.

Knapp 50 Prozent Winterstrom

Die am 22. Oktober in Betrieb genommene Anlage verfügt über 90 stehende, bifaziale Solarmodule zur Stromproduktion. Mit einer Kollektorenfläche von 153  m2 ist es im nationalen Vergleich eine eher kleine Anlage. Ausgehend von einer maximalen Leistung von 28,4 Kilowatt-Peak rechnet Heinz Gross mit einer Jahresproduktion von rund 32'000 kWh, was dem Jahresverbrauch von fünf bis sechs Haushalten entspricht. «Die Anlage soll knapp die Hälfte der Produktion von erneuerbarer Sonnenenergie im Winterhalbjahr erreichen. Rund 60 Prozent des so gewonnenen Stroms verwenden wir Hausintern, die restlichen 40 Prozent werden ins öffentliche Netz eingespiesen», so Gross. Die Bruttoinvestition für die PV-Anlage der EKW belief sich auf rund 80 000 Franken.

Dank den vertikal angeordneten, rund 60 Zentimeter ab Boden aufgeständerten und beidseitig funktionierenden Photovoltaikmodulen sind diese zur Erzeugung von Winterstrom prädestiniert und zur Deckung der drohenden und in letzter Zeit immer wieder diskutierten Winterstromlücke geeignet. Dass solche Anlagen nicht nur auf dem Papier funktionieren, beweist auch die bifaziale PV-Anlage des lokalen Energieunternehmens St. Moritz Energie (siehe Infobox). 

«Viel Sonne, aber wenig PV-Anlagen»

Mit dieser ersten eigenen PV-Anlage wollen die Engadiner Kraftwerke nicht nur die Diskussion um solche Anlagen anregen, sondern die Bevölkerung auf die Technologie sensibilisieren und sich auch für bessere Rahmenbedingungen zum Bau solcher Anlagen stark machen. Kein einfaches Unterfangen, obschon die Voraussetzungen in der Region gegeben wären: «Im Engadin scheint die Sonne überdurchschnittlich oft, trotzdem stehen hier im nationalen Vergleich nur wenige PV-Anlagen.» Woran liegt es also?

Gross führt beispielsweise den grundsätzlich zu günstigen Preis für Energie ins Feld. Dieser verhindere oder erschwere Investitionen in solche Anlagen. «Mit unserer PV-Anlage produzieren wir eine Kilowattstunde Strom für knapp unter zehn Rappen, bezahlen über 14 Rappen, wenn wir vom EW Zernez Strom beziehen, erhalten für die überschüssige und ins Netz gespeiste Energie aber nur sechseinhalb Rappen vergütet», rechnet er vor. «Wie soll sich das für eine Privatperson rechnen, wenn schon wir uns mit dieser vergleichsweise grösseren Anlage auf der Kippe der Rentabilität bewegen?» Das neue, erst in diesem Jahr angepasste kantonale Energiegesetz sieht eine sogenannte anteilmässige Eigenstromerzeugungspflicht bei Neubauten vor. Wobei in den allermeisten Fällen nur die Nutzung der Sonnenenergie infrage kommt.

Weil aber Bund und Kanton nicht nur Regeln vorgeben, sondern mit Förderprogrammen aktiv Einfluss nehmen, profitieren die EKW auch von Förderbeiträgen: 12'000 Franken Bundesmittel kommen so aus dem Fördertopf für Anlagebetreiber von Photovoltaikanlagen in Form einer kleinen Einmalvergütung (KLEIV) für Anlagen mit einer Leistung von unter 100 Kilowatt-Peak (kWp). 

Gleich dreifache Förderung

Der Kanton Graubünden fördert solche Anlagen seinerseits mit 300 Franken pro kWp, was im Fall der EKW rund 9000 Franken ausmacht. Mit dem gleichen Beitrag dürfen die EKW zudem seitens der Gemeinde Zernez rechnen. Diese verdoppelt kantonale Förderbeiträge für energetische Sanierungsmassnahmen respektive für Massnahmen zur CO2-Reduktion aus dem gemeindeeigenen Energiefonds des Projekts «Zernez Energia 2020». Insgesamt auch für Heinz Gross «bemerkenswerte Beiträge» und letztlich auch für die EKW mit ein Grund, die Anlage überhaupt zu realisieren.

Gross sieht für grosse PV-Anlagen regional wie auch kommunal Potenzial und viele mögliche Anwendungen: Seien es Solarfaltdächer über Parkflächen oder Eisfeldern, herkömmliche Dachanlagen oder integrierte Fassadenlösungen auf und an Gewerbebauten und Schulhäusern. Auch partizipative Modelle wie «Quartierstrom» oder Vermietung und Verkauf von Anteilen an PV-Anlagen, analog des Projekts «minaStrom» der Elektrizitätswerke Davos AG, seien spannende Ansätze, leider aber im Engadin noch zu wenig bekannt.

 «Die Problematik der Winterstromproduktion muss generell zum Thema werden», fordert Gross. Auch wenn ihm klar ist, dass die Südbündner Bevölkerung im Wissen um ihre regional erzeugte, erneuerbare Wasserkraft schwerer vom Nutzen von Photovoltaikanlagen zu überzeugen ist, als beispielsweise die Bevölkerung in der Nähe eines Kernkraftwerks. «Aber wir werden nicht umhinkommen, neue Wege zu gehen, aufzuzeigen, wo die Energiewende hinführt und auch nicht, aus Fehlern zu lernen.» 

 

Infobox: Bifaziale PV-Module: Vorbild St. Moritz Energie

Bereits im Herbst 2017 hat St. Moritz Energie im Rahmen der damals erfolgten Sanierung der Liegenschaft an der Via Signuria 5 eine sogenannte bifaziale Photovoltaikanlage erstellt. Laut Auskunft von Patrik Casagrande, Geschäftsführer von St. Moritz Energie, war die Anlage damals eine der überhaupt ersten derartigen PV-Anlagen der Schweiz. 

Bifaziale, das heisst, doppel- oder beidseitig wirkende PV-Solarmodule, werden auf Flachdächern vertikal aufgeständert. Die Technologie zeichnet sich laut des «Leitfaden bifaziale Module» – 2019 von energie schweiz in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Fachverband für Sonnenenergie Swissolar herausgegeben – durch die Verwendung von Solarzellen und Modul-Layouts aus, welche auf beiden Seiten Licht sammeln und die Sonnenstrahlen auch dank Reflexion effizienter in Elektrizität umwandeln können. Durch Optimierung von Position und Orientierung sowie durch die maximale Reduzierung der Rückseitenverschattung können bifaziale PV-Module zwischen fünf und 30 Prozent mehr Energie produzieren als herkömmliche, monofaziale PV-Module. 

Der Kanton Graubünden fördert solche, zur Erhöhung der Winterstromproduktion ausgelegten Photovoltaikprojekte mit einem Leistungsbeitrag von 300 Franken pro Kilowatt-Peak respektive mit minimal 900 bis maximal 200 000 Franken pro Anlage. Seit dem 1. Dezember und noch bis 2024 werden Förderbeiträge für solche Anlagen im Rahmen des «Aktionsplans Green Deal für Graubünden» sogar verdoppelt. 

Laut Patrik Casagrande hat die St. Moritzer Anlage eine Leistung von insgesamt 25 Kilowatt-Peak (kWp) und erzeugt im Mehrjahresdurchschnitt rund 27'500 kWh pro Jahr. «Durch die vertikale Aufständerung produziert die Anlage auch nach Schneefall effektiv, da der Schnee nicht auf der Panelfläche liegenbleibt. Und dank der speziellen Zellverschaltung produziert die Anlage auch bei teilweise verschatteter respektive im Schnee liegenden Zellen immer noch effizient», so Casagrande. 

Das Ziel von St. Moritz Energie war es, eine neue Anlagekonfiguration im hochalpinen Raum zu testen, welche auch im Winter mit wenig Unterhalt effektiv Solarstrom produziert. Dabei seien die Erwartungen von St. Moritz Energie über die letzten Jahre erfüllt, ja teilweise sogar übertroffen worden. 

25 Kilowatt-Peak Leistung liefert die 2017 von St. Moritz Energie erstellte bifaziale PV-Anlage auf dem sanierten Wohngebäude. Fotos: St. Moritz Energie

 

Autor: Jon Duschletta, Fotos: EKW Zernez und St.Moritz Energie