Im April 1815 bricht in Indonesien der Vulkan Tambora aus. Auswirkungen dieser Eruption zeigen sich während der kommenden Monate rund um den Globus. In Europa und Nordamerika wird 1816 als das «Jahr ohne Sommer» in die Geschichte eingehen. Tiefe Temperaturen, Überschwemmungen, ausgefallene Ernten, Hungersnot sind die Folgen des Naturereignisses. Vor diesem dramatischen Hintergrund spielen sich in der Chesa Planta in Samedan noch andere Dramen ab.
Es ist eine Nacht im Juli 1816, draussen schneit es und auch im Innern des noblen Hauses herrscht eine düstere Stimmung. Für Vinzens von Salis-Samedan/Sils und seine Frau Jacobea ist es der letzte Sommer in ihrem Heim. Vinzens, der sich auch Ultimus nennt, ist verbittert, nachdem seine Familie nach der Gründung der Helvetischen Republik 1798 Güter und Macht im Veltlin verlor. Am Kampf um Rückgewinnung scheitert er, nun muss er auch das Haus aufgeben, welches sein verstorbener Vater – ein mächtiger und geachteter Staatsmann – für seine Nachkommen umbauen liess. Doch Nachkommen gibt es keine, Vinzens und Jacobea bekommen keine Kinder.
Zweisprachig inklusive Musik
«Ultimus» heisst das Theaterstück, welches diesen Samstag in der Chesa Planta Samedan Premiere feiert. Das Stück basiert auf einer wahren historischen Begebenheit, geschrieben hat es der Samedner Schauspieler Jonathan Ferrari. Er übernimmt auch die Hauptrolle. Es ist sein erstes selbst geschriebenes Theaterstück in diesem Umfang. «Ich habe viel recherchiert, die Herausforderung war, den historischen Figuren Leben einzuhauchen», erzählt er kurz nach einer Probe. Fakten mit Emotionen zu verknüpfen, zu erspüren, wie die Lage damals gewesen sein könnte, das sei ein intensiver Prozess gewesen.
Das Stück hat Jonathan Ferrari auf Deutsch geschrieben, gespielt wird es überwiegend auf Puter, mit deutschen Übertiteln. Felicitas Heyerick, welche in die Rolle der Jacobea schlüpft, hat zuhause nie Romanisch gesprochen. Sie lebte nur bis zu ihrem siebten Lebensjahr in einem romanischen Umfeld. «Ich hatte den Anspruch, diese Rolle auf Puter zu spielen, und hatte zum Glück zwei super Coaches», erzählt sie. Die sprachliche Herausforderung meistert sie mit Bravour. Neben Jonathan Ferrari steht auch Musiker Gianni Tschenett aus Celerina auf der Bühne. Er spielt den Diener Jean-Marc, aber in erster Linie macht er die musikalische Begleitung. Erstmals hat er für ein Theaterstück die Musik komponiert. «Ich habe unter anderem mit den Thematiken Macht, Heimat und Liebe auseinandergesetzt», erzählt er. Die Musik begleitet die Geschichte nicht nur, sie trägt sie mit.
Inzwischen träumt sie romanisch
In «Ultimus» treffen verschiedene dramatische Schieflagen aufeinander: die gesellschaftliche – die der hungernden Menschen, die persönliche – das Scheitern des Sohnes eines bedeutenden Mannes und die Kinderlosigkeit des Ehepaars und der existenzbedrohende Verlust von Heim, Macht und Ehre. Auch kriselt es in der einst glücklichen Ehe von Vinzens und Jacobea. Regisseurin ist Pascale Pfeuti. Für sie bringt «Ultimus» ebenfalls eine Premiere mit sich, denn an ein deutsch-romanisches Theaterstück hat sie noch nie mitgewirkt.
Am Anfang hat das Ensemble mit deutschem Text gearbeitet. «Dann kam die Übersetzung und ich hatte eine Zwei-Stunden-Krise» erzählt die Baslerin lachend. Sie sei mit den Kollegen dann das Skript durchgegangen und hätte zu jedem romanischen Wort das deutsche Wort dazugeschrieben. So näherte sich Pascale Pfeuti der romanischen Fassung an. Inzwischen träume sie sogar romanische Sätze, erzählt die Regisseurin.
«Theater lebt vom Widerspruch»
Pascale Pfeuti arbeitet gerne mit verschiedenen Ebenen, die sich einerseits ergänzen und andererseits widersprechen. «Theater lebt vom Widerspruch, irgendetwas stimmt immer nicht», sagt sie. Das Team habe lange daran gearbeitet, wie es Situationen, Beziehungen, Emotionen vermitteln wolle. Pascale Pfeuti ist Regisseurin und Schauspielerin, aber auch Musikerin. Die Geschichte von «Ultimus» hat einen finsteren Hintergrund, die Musik bringt eine gewisse Leichtigkeit hinein. «Wenn Musik auf der Bühne gespielt wird, geht mir das Herz auf», meint sie. Dem Publikum ebenfalls, vor allem beim letzten Lied «Fluor» und dem Happy End.
Aufgeführt wird das Stück in einem Gang der Chesa Planta. Authentischer könnte die Umgebung also nicht sein. «Man wird auch ein bisschen vom Haus bespielt», meint Jonathan Ferrari.
Ist es wichtig, sich zu erinnern?
«Wie wird man über uns schreiben, wenn wir einmal nicht mehr da sind», fragt Jacobea in einem Brief an ihren Bruder. Die Antwort: Vinzens von Salis/Sils, bedeutender Bündner Politiker. Jacobea von Salis/ Seewis, Frau von Vinzens von Salis/Sils, kinderlos gestorben. Unsere Geschichte wird erst dann geschrieben, wenn wir nicht mehr hier sind. Wie man über uns schreibt, können wir nicht bestimmen, schlussfolgert die Frau des Hauses.
Ist es wichtig, dass man sich an uns erinnert? Sollen wir nicht einfach unabhängig davon Gutes tun, im Hier und Jetzt? Solche Fragen stellt Jacobea in den Raum. Ihre Erkenntnis: Damit Geschichte geschrieben werden kann, braucht es eine Zukunft. «Auch wenn der Himmel grau ist, verbirgt sich dahinter die Sonne.»
Die Premiere findet am 12. Juli um 19.30 Uhr mit einer Einführung durch den Historiker Janett Michel statt. Die Aufführungen sind am Sonntag, 13. Juli, 17.00 Uhr; Mittwoch, 16. Juli, 20.00 Uhr; Donnerstag, 17. Juli; 20.00 Uhr; Donnerstag, 24. Juli, 20.00 Uhr; Freitag, 25. Juli, 20.00 Uhr. www.chesaplanta.ch/cultura
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