Samstagabend, 20 Uhr. Ich stehe vor dem Eingang des Kongress- und Kulturzentrums Rondo in Pontresina. Noch ist weder was zu sehen noch zu hören von der grossen Feier, die hier in den kommenden Stunden steigen wird. Eigenartig, denke ich mir. Bei meinem letzten Besuch des Terratrembel vor etwa sieben Jahren tummelten sich zum Zeitpunkt der Türöffnung bereits zahlreiche junge und jung gebliebene Menschen, die Lust auf Musik, ein paar Drinks und gute Gespräche hatten. Laut Thierry Kohler, OK-Mitglied des Terratrembel, aber kein Grund zur Sorge. «Die Leute kommen im Vergleich zu früher nicht mehr gleich zu Beginn des Terratrembel. Die müssen sich erst noch etwas in Stimmung bringen.»
Für diejenigen, die bereits zur Türöffnung um 20 Uhr das Rondo betraten, gab es ein paar Willkommens-Beats von DJ D.Mave. Im Rhythmus der Musik leicht hin- und herbewegt haben sich zu diesem Zeitpunkt mehrheitlich die vielen Helferinnen und Helfer der Giuventüna, die auf «Action» - also Arbeit - warteten. Auch meine Beine befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch im Stand-by-Modus. Erst mal ankommen, sich einen Überblick verschaffen und den freien Platz an der Bar geniessen.
Ab 21 Uhr geht es vor der Bühne etwas bewegter zu, nämlich als Mattiu mit seinem Konzert den Abend ins Rollen brachte. Der junge Musiker aus der Surselva ist nicht bekannt für laute Töne und Partykracher, überzeugt auf der Bühne aber umso mehr mit seinem musikalischen Talent und seiner stimmlichen Vielfalt - und das erst noch auf Romanisch. Zwar spricht er nicht das gleiche Idiom, wie hier im Engadin gesprochen wird, aber seine romanischen Ansagen zwischen den Songs kamen an und erhielten meist viel Applaus. Mittlerweile sind auch meine Beine erwacht und haben angefangen, sich im Takt der Musik etwas hin- und herzubewegen. Zwar noch immer etwas steif aus der Hüfte raus, aber man ist schliesslich auch keine Primaballerina.
Liebesdrama und Bierdusche
Ab 23.00 Uhr dann plötzlich ein ganz anderes Bild. Auf einmal wimmelt es von jungen Menschen – im Saal, auf der Treppe, unten beim Eingang und auch vor dem Rondo. Die Schlange bei der Eingangskontrolle wird länger, und die Lautstärke der Musik oben im Saal wird von der teils kreischenden und laut gestikulierenden, party-hungrigen Gen-Z übertönt. Genau der passende Zeitpunkt, die Toilette aufzusuchen – bevor es so richtig voll wird und man lange anstehen muss, wie so oft auf Damentoiletten. Beim Öffnen der Tür schallt lautes Gelächter aus dem Raum und für einen kurzen Moment bin ich mir nicht sicher, ob ich mir das antun möchte. Aber wenn Frau muss, dann muss sie.
Beim Hineintreten werde ich mit ultra-knappen Miniröcken, Bauchnabel-Piercings, sehr freizügigen Tops und Highheels, die man im Engadin eher selten zu Gesicht bekommt, konfrontiert. Und ein paar komischen Blicken, da mein Outfit der Vergleich zu jenen der jungen Frauen im Raum dem einer zugeknöpften, etwas altmodischen, prüden Dame gleicht. Während ich mich meinem Geschäft widmete, nahm vor meiner WC-Tür das Drama seinen Lauf. Ein Typ hat mit einer anderen Frau auf Snapchat hin- und hergeschrieben, obwohl er versprochen hat, das nicht mehr zu tun. Dass das natürlich überhaupt nicht in Ordnung ist, wurde von allen im Raum einstimmig beschlossen. Und nach ein paar vergossenen Tränen und lauten Schluchzern wurde gar noch ein Plan ausgeheckt, wie man es dem Typen heimzahlen könnte. Das war dann doch etwas zu viel Drama für meinen Geschmack, worauf ich mich relativ zügig aus dem Staub machte. Aber an sich auch nichts Neues, ähnliche Szenarien kenne ich nur zu gut aus meinen Jugendzeiten. Damentoiletten sind «the place to be», wenn man Dramen oder Drama-Queens sucht.
Wieder oben im Saal angekommen, gleich die nächste Überraschung. Beim kumpelhaften Umarmen zweier Freunde war etwas gar viel Schwung mit im Spiel und das Bier flog in hohem Bogen durch die Luft. Direkt auf die Brust eines dritten, nicht in die Umarmung involvierten Unschuldigen. Dieser nahm das mit hochgezogener Augenbraue zur Kenntnis, mehr aber auch nicht. Anscheinend schien er sich nicht daran zu stören, für den Rest des Abends nach Bier zu riechen - nebst Schweissgeruch und viel zu vielen verschiedenen Parfüms war der Biergeruch übrigens jener, der am dritt-präsentesten war. Und dass man anschliessend beim Passieren des Ort des Geschehens fast am Boden kleben blieb, ging auch an den meisten Besuchern vorbei.
Kein DJ, keine Party
Wie eingangs bereits erwähnt, war das am Samstag nicht mein erstes Terratrembel. Allerdings haben sich die musikalischen Darbietungen seit meinem letzten Besuch stark verändert. Während in den Anfangsjahren auf zahlreiche bekannte und auch weniger bekannte Acts, die in grösseren Formationen und mit Instrumenten auf die Bühne kamen, gesetzt wurde, sind heute die DJs die grossen «Stars». Mattiu und Selufa, ein aufstrebender Künstler aus Zürich, waren die einzigen, die Instrumente mitbrachten. Danach waren die DJs mit ihren Computern und Turntables an der Reihe.
Mit im Gepäck dynamische Lichtshows mit Strobos, grossen Screens und Nebelsäulen. Und natürlich Beats, die das Publikum aus den Socken reissen soll. Je schneller und ausgefallener, umso besser. Und laut muss es sein. «Wir mussten mit der Zeit gehen und den jungen Menschen wieder das bieten, was sie bedürfen. Konzerte sind gut, um das Eis zu brechen. Aber danach muss richtig eingeheizt werden und nonstop etwas gehen. Das funktioniert mit DJs am besten und ist für uns mit deutlich weniger Aufwand verbunden», sagt Thierry Kohler. Namentlich waren das am Samstag der Einheimische Giannex und der deutsche DJ und Produzent Bennett.
Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich allerdings bereits auf dem Heimweg. Nicht, weil ich DJs nicht mag, sondern weil mir das Gedränge und die zunehmende Dynamik und Lautstärke der jungen Party-Gesellschaft etwas zu bunt wurde. Ich bin definitiv keine 20 mehr und sehne mich an den Wochenenden auch mal nach Ruhe, Entspannung und Einsamkeit. Aber ich gehöre auch nicht unbedingt zur Zielgruppe vom Terratrembel. Diese ist im Schnitt 20 Jahre jünger und kam bei der 24. Ausgabe des Anlasses voll auf ihre Kosten. Ganz nach dem Motto: von der Jugend für die Jugend. Und das soll auch so sein, denn das Terratrembel ist der Event, der die Jugend im Engadin am ehesten abholt und auch reflektiert.
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