Am Montag hat in Graubünden wieder die Schule begonnen. Können Sie sich noch an Ihren ersten Schultag erinnern?

Ja, das war im Jahr 1966. Wir waren 35 Schülerinnen und Schüler in der ersten Klasse bei Lehrer Mario Vonmoos in der Schule in Scuol. Das Schulzimmer war mehr als voll. Wir schrieben noch auf Schiefertafeln.

Seitdem hat sich einiges verändert. Was war früher Ihrer Meinung nach besser als heute. 

Auch die Schule unterliegt dem Wandel der Zeit. Ein Vergleich der Schule von vor 55 Jahren mit der Schule von heute hinkt. Die Ansprüche waren andere und die Schule passt sich den gesellschaftlichen Ansprüchen und Bedürfnissen laufend an. Denken Sie beispielsweise nur einmal an die Digitalisierung.

Die Probezeit für den Lehrplan 21, wo die Digitalisierung ebenfalls berücksichtigt wird, ist beendet. Wie hat sich der Lehrplan 21 bisher bewährt?

Es handelte sich hierbei nicht um eine Probezeit, sondern vielmehr um eine Einführungsphase zum Lehrplan 21 GR von sechs Jahren. Davon dienten die ersten drei Jahre der Vorbereitung und Durchführung der verschiedenen Kursformate. Erst ab Sommer 2018 wurde der Lehrplan 21 GR an den Schulen im Kanton eingeführt.

Diese Einführungsphase war wichtig, um allen Lehrpersonen genügend Zeit zu geben, sich mit dem neuen Lehrplan auseinanderzusetzen bzw. den Lehrplan umsetzen zu können. Als Beispiel seien hier die zahlreichen Weiterbildungsveranstaltungen für die ca. 2500 Lehrpersonen im Kanton Graubünden erwähnt.

Wie ist Ihre persönliche Meinung zur Einführung des Lehrplans 21?

Persönlich ziehe ich eine positive Bilanz. Die Rückmeldungen aus den Schulen sind gut. Mit dem Lehrplan 21 GR haben auch neue Fächer Einzug gehalten. Als Beispiele möchte ich hier das Fach Individualisierung in der 3. Klasse der Sekundarstufe I nennen oder die Bedeutung von Medien und Informatik hervorheben. Einerseits wird das Fach Medien und Informatik als kursorischer Unterricht ab der 5. Klasse angeboten, andererseits ist die Bedeutung der sinnvollen Nutzung der Medien und Informatik auch in sämtlichen anderen Fächern überfachlich implementiert. Ich höre immer wieder positive Rückmeldung, insbesondere auch zu den neuen Fächern.

Mussten nach der Einführungsphase grosse Anpassungen am Lehrplan gemacht werden?

Nein. Eine Bilanz nach erst drei Jahren einer Einführungsphase zu ziehen, wäre verfrüht.

Die Schülerzahl im Engadin sinkt, die Anzahl Lehrer hingegen steigt. Wie erklären Sie sich das?

Zunehmend arbeiten Lehrpersonen gerne auch im Teilpensum – das war früher anders. Dieser Sachverhalt macht schon deutlich, dass die Anzahl an Lehrpersonen steigen muss. 

Ein simpler Zahlenvergleich für das Engadin und Münstertal – steht stellvertretend für diese Entwicklung – ohne dabei weitere Faktoren zu berücksichtigen, wie beispielsweise veränderter Lehrplan, Einführung von Angeboten wie Tagesstrukturen etc., machen dies sehr deutlich: Im Jahr 1985 hatte das Engadin und die Val Müstair ca. 150 unterrichtende Lehrpersonen für ca. 2350 Schülerinnen und Schüler. Im Jahr 2020 waren ca. 350 unterrichtende Lehrpersonen tätig für ca. 2150 Schülerinnen und Schüler. 

Gibt es auch andere Faktoren für diese Entwicklung?

Selbstverständlich kommen weitere Faktoren hinzu, welche dazu führen, dass die Anzahl an Lehrpersonen – bei ähnlichen Schülerinnen- und Schülerzahlen – steigt. Ich denke da zum Beispiel auch an die Zunahme von Fachlehrpersonen.

Es fehlt in allen Regionen an romanischen Lehrpersonen. Was ist Ihre Meinung dazu? Hat dieser Lehrermangel Einfluss auf die Schulqualität. 

Wenn die Schulen die Möglichkeit haben, die Stellen früh auszuschreiben, so können diese Stellen relativ rasch besetzt werden. 

Romanische oder entsprechend mehrsprachige Schulen benötigen selbstverständlich Lehrpersonen, die in Romanisch und/oder Romanisch (als Fach) unterrichten können. Wenn diese zunehmend fehlen, sind die Schulen bezüglich Rekrutierung sehr gefordert. Meines Wissens konnten aber die romanischen Schulen alle Stellen mit qualifizierten Lehrpersonen oder mit Lehrpersonen mit einer Lehrbewilligung besetzen.

Professor Rico Valär fordert ein Romanisch-Obligatorium bis zur Matura. Was sagen Sie dazu?

Die Förderung der romanischen Sprache entlang einer durchgängigen Bildungskette im romanischen Sprachgebiet ist dem Kanton ein wichtiges Anliegen. Die Regierung hat daher auch die privaten Mittelschulen im romanischen Sprachgebiet mit den neu eingeführten Leistungsaufträgen unter anderem zur Einführung beziehungsweise Aufrechterhaltung eines romanischen Unterrichtsangebots verpflichtet. Am Untergymnasium dieser privaten Mittelschulen sollen Schülerinnen und Schüler aus romanischsprachigen oder zweisprachigen Volksschulen weiterhin obligatorisch den Romanischunterricht besuchen. In den oberen Klassen wird in der Regel von einem Obligatorium für die Schülerinnen und Schüler abgesehen. Die Schulen sind jedoch verpflichtet, das Angebot auch in den oberen Klassen durchzuführen, wenn es Schülerinnen und Schüler gibt, welche dieses in Anspruch nehmen wollen – und wir sind zuversichtlich, dass die Schülerinnen und Schüler diese Angebote schätzen und nutzen. 

Haben Sie andere Vorschläge, um die Romanisch-Kompetenz zu steigern?

Die Regierung hat mit Bezug zum Regierungsziels 5 «Die kulturelle und sprachliche Vielfalt des Kantons Graubünden als Chance nutzen» einen Massnahmenkatalog erarbeiten lassen, der unter anderem die «Förderung des Unterrichts in den Kantonssprachen als Erst- und Zweitsprache auch an Mittelschulen, Gewerbeschulen, Fachhochschulen und höheren Fachschulen» sowie die «schulische Sensibilisierung der Vorteile der Mehrsprachigkeit» verlangt. 

Und wie werden diese Massnahmen umgesetzt?

Um die Umsetzung dieser Massnahmen effizient zu gestalten und zu koordinieren, erarbeitet die Pädagogische Hochschule Graubünden (PHGR) unter Einbezug der Mittelschulen und der Bildungsinstitutionen der Tertiärstufe im Rahmen des Leistungsauftrags 2021–24 ein Grobkonzept für ein «Sprachzentrum». Daneben gibt es im Bildungsbereich weitere spannende Initiativen, wie beispielsweise das lancierte und im Aufbau befindende Pilotprojekt «DistancE-Learning Rumantsch» der Bündner Kantonsschule, welches darauf abzielt, romanische Unterrichtselemente der Bündner Kantonsschule den privaten Mittelschulen digital zugänglich zu machen und den Austausch unter den romanischen Lehrpersonen an den Mittelschulen zu fördern. 

Wie beeinflusst die Covid-19-Pandemie das neue Schuljahr?

Wie uns allen bekannt, entwickelt sich die pandemische Lage äusserst dynamisch. Ich kann also keine Prognose für das ganze Schuljahr machen. Für den Schulstart gelten die Abstands- und Hygieneregeln, dies wird auch weiterhin zentral bleiben. Die Schulen wurden während den Sommerferien wiederum mit einem Informationsschreiben von «Schule trotz Corona» über die aktuelle Lage zum Schulstart informiert. 

Die Schultestungen starten bereits in der ersten Schulwoche.

Was hat das Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartement aus dem vergangenen Pandemie-Schuljahr gelernt?

Die flächendeckenden Schultestungen sowie die anhaltend gut umgesetzten Schutzmassnahmen waren zentrale Elemente um den Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten. Der grosse Aufwand zahlt sich also aus. Gute Laptops sind wichtiger geworden, der Präsenzunterricht in geeigneten Schulzimmern ist aber nach wie vor von zentraler Bedeutung!

Vergangene Woche wurde die neue Strategie des Hochalpinen Instituts Ftan (HIF) vorgestellt. Was sagen Sie dazu?

Es ist sehr erfreulich, dass die Zukunft dieser traditionsreichen Mittelschule dank des neuen Mehrheitsaktionärs nachhaltig sichergestellt werden kann. Das HIF erhält dadurch verstärkt internationale Bedeutung. Damit auch die regionale Verankerung weiterhin bestehen bleibt, wird die Schule gestützt auf den Leistungsauftrag des Kantons für die Schülerinnen und Schüler aus der Region weiterhin Romanisch als Erstsprache anbieten. Dadurch leistet das HIF zusammen mit den anderen Mittelschulen im romanischen Sprachgebiet einen wichtigen Beitrag, die angestammte Sprache in den Regionen zu stärken und zu fördern.

Wie ist Ihre Meinung zum neuen Bildungsprogramm «Ignite» am HIF?

Die Idee, ausländischen Schülerinnen und Schülern während eines Jahres verschiedene Aspekte eines nachhaltigen Zusammenlebens vor Ort in der Bündner Bergwelt näherzubringen, klingt spannend und kann meines Erachtens die Erfahrungswelt der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler und auch diejenige der lokalen Bevölkerung bereichern. 

Was wünschen Sie sich generell für die Schulen in Graubünden?

In der aktuellen Situation wünsche ich mir natürlich, dass sich die pandemische Lage weiterhin entspannt und der Schulbetrieb sich wieder ausschliesslich dem «courant normal» widmen darf. Generell wünsche ich mir, dass die Bündner Schulen auch weiterhin Orte der Begegnung, des Zusammenlebens und des gehaltvollen «von- und miteinander Lernens» bleiben. Ich nutze die Gelegenheit und wünsche allen an der Schule Beteiligten, allen voran den ABC-Schützen, einen guten und erfolgreichen Start in das neue Schuljahr sowie viel Engagement und Freude beim Vermitteln und Erwerben neuer Kompetenzen.

Interview: Nicolo Bass