Für Clarita Kunz ist klar: «Privatschulen sind eine Konkurrenz für die Staatsschule.» Für Eltern, deren Kinder sich nicht in das Schulsystem der öffentlichen Schule einfügen können oder wollen, sind Schulen wie die geplante Scoula Pioniera (Ausgabe vom Samstag) eine willkommene Alternative. Clarita Kunz ist Schulische Heilpädagogin und hat zuletzt in Samedan Schülerinnen und Schüler in den Fächern Deutsch, Romanisch und Mathematik gefördert. Die Engadinerin ist zudem Gründerin und Leiterin des Montessori-Kindergartens in Meilen (ZH).
Aktuell ist sie vor allem als Referentin und als Beraterin für Schulen unterwegs und schreibt Kolumnen für diverse Tageszeitungen. Ihr Credo ist: «Schulisch schwache Kinder sind nicht dumm, sie arbeiten lediglich langsamer als andere.» Dafür erhalten sie schlechte Noten. «Das muss aufhören, insbesondere in den für die Selektion relevanten Fächern Deutsch, Romanisch und Mathematik, denn so gehen Motivation und Lernfreude verloren», sagt sie.
Im eigenen Tempo lernen
In ihrem Buch «Schule als Leistungsbremse» untersucht die Autorin unter anderem das Schweizer Schulsystem und geht den Ursachen für Lern- und Verhaltensstörungen oder Schulabbrüchen nach. «Die Fächer Deutsch und Mathematik sollten so gestaltet werden, dass Schülerinnen und Schüler das Schuljahr übergreifend im selbstgewählten Tempo arbeiten dürfen», sagt sie. Der «Gleichschritt-Prüfungsmarathon» gehöre abgeschafft: Klassen mit Gleichaltrigen sollen nicht mehr zur gleichen Zeit zum gleichen Thema Prüfungen schreiben müssen. Die Pädagogin ist überzeugt, dass so alle Kinder und Jugendlichen mehr leisten und die vorgegebenen Mindestlernziele von allen, und nicht nur von 75 Prozent der Schülerinnen und Schüler erreicht werden.
In diesem Punkt stimmt sie mit den Ideen der Initiantinnen der Scoula Pioniera überein. Anders als diese ist sie der Meinung, dass es nur minimale Änderungen in den Staatsschulen bräuchte, um Lernende, Eltern und Lehrpersonen zu entlasten. «Diese Massnahmen könnten schon morgen umgesetzt werden», sagt sie.
Noten und Lernstand im Zeugnis
«Noch nie gab es eine solche Vielfalt an anschaulichen digitalen und analogen Lehrmitteln», sagt die Schulische Heilpädagogin. «Zwei Drittel der Kinder könnten weitgehend selbständig mit diesen Lehrmitteln lernen und selber bestimmen, wann sie zu welchem Thema eine Prüfung schreiben wollen», meint sie.
Ihre Erfahrung sei, dass Heranwachsende mehr lernen, wenn sie sich mit ihren früheren Leistungen vergleichen statt andauernd mit denen der anderen. «Kinder sollten möglichst schon im Kindergarten und spätestens in der vierten Klasse dort abgeholt werden, wo sie stehen», ist Clarita Kunz der Ansicht.
Für sie ist aber auch klar, dass es Bewertungen und Noten braucht. Schulen, in denen Schülerinnen und Schüler im selbstgewählten Tempo lernen dürfen, vermerken neben der Note im Zeugnis auch noch den Lernstand. So wird ersichtlich, was sie schon können.
Eine Zweiklassengesellschaft
Laut Clarita Kunz ist es gut für die Bildungsvielfalt, wenn es auch Privatschulen gibt. Das Problem sei, dass diese nicht für alle Eltern wählbar sind und deshalb eine Zweiklassengesellschaft entsteht. «Wenn wir in der staatlichen Schule nichts unternehmen, wird sich dieser Spalt wie etwa im Kanton Zürich immer mehr vergrössern», meint sie.
Die Schulische Heilpädagogin ist überzeugt: «Eine zukunftstaugliche Transformation der Schulen ist keine Utopie, sie kann mit wenigen Anpassungen gelingen: Langsam und schnell lernende Kinder könnten schon morgen inklusiv in ein und derselben Klasse ohne separierende, diskriminierende Massnahmen bestmöglich gefördert werden».
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