Giancarlo Salis ist Technischer Leiter bei der Alpinen Rettung Graubünden. «Das Engadin ist gross, mit vielen Bergen und immer mehr Leuten, die sich darin bewegen», sagte er an der Podiumsdiskussion im Rondo in Pontre­sina. Vor allem im Oberengadin sei es schwierig, neue Retterinnen und Retter zu rekrutieren. Momentan sei die Alpine Rettung in der Region zwar gut aufgestellt, aber es sei nicht einfach, junge Leute dazu zu motivieren, einen Teil ihrer Freizeit für Rettungseinsätze zur Verfügung zu stellen. «Es wird in Zukunft eine Herausforderung sein, genügend Ressourcen für die Alpine Rettung stellen zu können», meinte Salis.

Schweizweit sieht die Situation anders aus. Die Alpine Rettung Schweiz hat sogar ein Luxusproblem: An den meisten Orten gebe es nicht zu wenig Anwärter für die Alpine Rettung, sondern zu viele, wie Geschäftsführer Andres Bardill berichtete. «Wir haben mit den Standortkantonen gute Rahmenbedingungen geschaf­fen», erläuterte er. Die touristische Entwicklung habe natürlich einen grossen Einfluss auf die Frequenzen in den Bergregionen. «Wenn es im gleichen Rahmen weitergeht, werden wir die Situation mit unseren Kapazitäten aber gut bewältigen können», so Bardill. 

Es braucht ortskundige Freiwillige
Markus Reichenbach, Kader-Mitglied beim Rega-Stab Helikopter-Einsatz, stellte fest, dass bei der Luftrettung in allen Bereichen ein Manko an Fachleuten herrscht. «Wir müssen bei der Rega gewisse kantonale Vorgaben erfüllen und werden auch daran gemessen, wie schnell wir vor Ort sind, weswegen es wünschenswert wäre, möglichst viele Spezialisten bei der Alpinen Rettung zu haben», sagte er. Markus Reichenbach erinnerte aber auch an die zunehmenden Naturereignisse. Umso wichtiger sei es, nebst den Spezialisten dezentral ortskundige, freiwillige Helfende zu haben. 

Die Alpine Rettung in Graubünden ist anders aufgestellt als in Südtirol, aber auf beiden Seiten der Grenze wurde sie in den letzten Jahren stark professionalisiert, sei es bei der Ausbildung als auch bei der Ausrüstung und bei der Digitalisierung. Beim Thema Freiwilligkeit funktioniert die Gesellschaft in Südtirol besser als in Graubünden. «Der Wille, freiwilligen Dienst zu leisten, ist bei uns sehr hoch. Das beginnt schon bei der Feuerwehr, und auch bei der Bergrettung können wir auf viele Freiwillige zählen», informierte Olaf Reinstadler, Chef Bergrettung Sulden. Ein Problem sei aber, dass die Zahl der Einsätze zunehme und diese Tätigkeit mit dem Arbeits- und Privatleben schwer vereinbar sei, wenn die Ausfälle nicht bezahlt werden. 

«Das Retter-Gen vermitteln»
Mark Hauser ist Mitglied des Zentralvorstands des SAC. Die Bergrettung ist Teil der DNA des SAC. Auf die Frage von Podiumsmoderator David Spinnler, wie man diese DNA bewahren könne, erwiderte er: «Der SAC liefert quasi die Kunden für die Alpine Rettung, denn wir haben jährlich 360 000 Übernach­tungen in unseren Hütten.» Dass die Berggängerinnen und Berggänger sicher auf den Berg und wieder ins Tal kommen, sei dem SAC wichtig. Darum werden vom SAC Kurse und Ausbil­dun­gen für die Mitglieder angeboten. 

Ein Modell, um die Jungen für die Alpine Rettung zu begeistern, ist laut Mark Hauser die Nachwuchsförderung von Kindesbeinen an. Wer zuerst im JO ist, landet vielleicht später in der Alpinen Rettung. «Das Retter-Gen zu vermitteln, ist auch unsere Aufgabe als SAC», ist er der Auffassung. 

«Es wird für alle anspruchsvoller»
 Giancarlo Salis zufolge schrauben sich die Anforderungen an die Retterinnen und Retter immer mehr nach oben. Da zunehmend mehr Fachwissen verlangt werde, steige der Druck auf das Milizsystem. «Aber nur mit Profis funktio­niert die Alpine Rettung nicht, wir brauchen die Freiwilligen», betonte er. Dass die Rettung komplexer wird und auch quantitativ zunimmt, hänge auch mit den klimatischen Veränderungen zusammen, Stichworte dazu sind Bergstürze, Murgänge, aber auch abrupte Wetterumschwünge. 

«Es wird für alle anspruchsvoller», sagte Olaf Reinstadler. Dem stimmten alle Podiumsteilnehmer zu. Andres Bardill erklärte, wie die Alpine Rettung Schweiz diesem Umstand begegnet: «Wir investieren in den nächsten Jahren in die präklinische Notfallmedizin und eröffnen damit neue Einsatzfelder für die Retterinnen und Retter.»

Bitte keine Überregulierung
Forderungen an die Politik, damit die Alpine Rettung funktionieren kann, gab es vonseiten der Experten. «Das Milizsystem wird an den Orten am meisten strapaziert, wo es am meisten reguliert und zertifiziert wird», meinte Andres Bardill. Damit werde es in die Einsatzunfähigkeit manövriert. Auch in der Luftrettung gebe es eine Überregulierungswut, sagte Markus Reichenbach von der Rega. «Wir müssen einsatzfähig bleiben und pragmatisch arbeiten können – sei es in der Miliz oder in Profiorganisation», lautete sein Wunsch. «Wichtig ist, dass den einzelnen Regionen auch noch eine Eigenverantwortung überlassen wird, um das Gebiet den Bedürfnissen entspre­chend abzudecken», so Giancarlo Salis. 

Nach der Podiumsdiskussion war jedenfalls allen 250 Anwesenden im Saal klar: Die Alpine Rettung ist systemrelevant und muss sich den gesellschaft­lichen und klimatischen Veränderun­gen anpassen, um weiterhin bestehen zu können.


NACHGEFRAGT: «Wir investieren in Nachwuchsförderung»

Engadiner Post: Alice Vollenweider, seit 20 Jahren existiert die Alpine Rettung Graubünden. Wie hat sich die Organisation entwickelt?
Alice Vollenweider: In diesen 20 Jahren hat sich die Bergrettung stark entwickelt und professionalisiert. Die bedeutendste Veränderung ist, dass seit 2020 die First Responder Plus dazugekommen sind, die sogenannten Ersthelfenden. Damit haben wir ein komplett neues Einsatzfeld aufgebaut und sind sehr aktiv und präsent in der Bevölkerung.

Die Alpine Rettung Graubünden funktioniert als Milizsystem. Wie sieht es mit der Nachwuchsrekrutierung aus?
Die Situation ist in Graubünden regional sehr unterschiedlich. Es sind sehr unterschiedliche Talschaften, die saisonal auch variierende Bevölkerungszahlen haben. Es gibt also keine einheitliche Lösung für den ganzen Kanton, sondern wir müssen auf die regionalen Situationen eingehen. Das ist eine der grossen Herausforderungen, die wir haben.

Wie ist die Alpine Rettung Graubünden organisiert?
Wir sind ein Verein mit neun Bündner SAC-Sektionen plus der SAC Bellinzona für Misox. Zusammen unterhalten diese 27 Rettungsstationen, welche den ganzen Kanton abde­cken. Die Rekrutierung funktioniert über die einzelnen Stationen vor Ort.

Das Oberengadin ist mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, mit welchen?
Im Oberengadin gibt es während der Hochsaison sehr hohe Bevölkerungszahlen. Demgegenüber steht eine sehr geringe Zahl an Menschen, die das ganze Jahr über hier leben und sich in einem hohen Ausmass in einer Milizorganisation engagieren. Der Pool an möglichen Kandida­tinnen und Kandidaten für die Alpine Rettung wird so sehr klein. Darum investieren wir in die Nachwuchsförderung, damit die Alpine Rettung eine Zukunft hat.

Alice Vollenweider ist Präsidentin der Alpinen Rettung Graubünden.

Autorin: Fadrina Hofmann